Sauhunde oder warum gute Vorsätze vergessen werden

Wenn wir uns auf etwas freuen, wenn wir etwas gerne tun, dann brauchen wir keine guten Vorsätze. Vorsätze sind Lückenbüßer.  Sie füllen Leerstellen in unserer Vorlust. Worauf wir keine Lust haben, was wir nicht tun wollen, aus anderen Gründen aber meinen, es doch tun zu sollen, das verpacken wir in Vorsätze und nennen Sie „gut“. Vielleicht nennen wir sie so, um uns zu motivieren, nicht von diesen uns notwendig erscheinenden Absichten abzulassen.

Gute Vorsätze stehen nicht im Zentrum psychoanalytischen Arbeitens und Denken. Es gibt kein Stichwort „gute Vorsätze“ im Vokabular der Psychoanalyse von Jean Laplanche und Jean Bertrand Pontalis. Gute Vorsätze sind bewusste Versuche unseres Ichs und unseres Überichs, einzugreifen in den Lauf der Zeit, uns rechtzeitig zu rüsten für einen Kampf mit etwas, dem wir einen Tiernamen gegeben haben, mit dem Schweinehund. Mit dem inneren Schweinehund. Ein Schwein und ein Hund? Es handelt sich wohl um eine wilde Phantasie, eine Chimäre, ein Mischbild aus zwei Tieren.

Doch Schweinehunde gehören nicht nur in das Reich der Phantasie. Schweinehunde hießen früher Sauhunde. Bis ins 19. Jahrhundert wurden Sauhunde, zu denen unter anderen bestimmte Doggen und Windhunde gezählt wurden, auf der Wildschweinjagd eingesetzt. Sie hatten die Aufgabe, die Tiere zu hetzen und dann festzuhalten, damit sie vom Jäger aus naher Entfernung getötet werden konnten.

Heute ist der Schweinehund vor allem eine Allegorie für einen bissigen Anteil, den jed*er freiwillig unfreiwillig mit sich führt. Und gute Vorsätze haben dem Schweinehund gegenüber eine wichtige Funktion. Der SPD-Abgeordneten Kurt Schuhmacher 1932 hat in einer Rede im deutschen Parlament auf ihn zurückgegriffen. Schuhmacher erhielt einen Ordnungsruf im Parlament, weil er darauf hinwies, dass die Nationalsozialisten in ihrer Agitation dauernd an den inneren Schweinehund der Bevölkerung appellierten und auf diese Weise die übelsten Motive aktivierten.

Philosophisch steht der innere Schweinehund für die Akrasia, für die seit der Antike so bezeichnete Willensschwäche. Wenn wir etwas tun, was wir eigentlich nicht tun wollen, dann hat der innere Schweinehund uns nicht nur gehetzt, sondern sogar schon gepackt. Gute Vorsätze sind wie kluge Wildschweine. Sie lassen sich als Versuche verstehen, gar nicht erst aufgespürt zu werden von den jagenden Hunden. Die Psychoanalyse kommt dort ins Spiel, wo diese Versuche scheitern, weil wir auf die guten Vorsätze vergessen und uns damit in Gefahr bringen, dem Schweinehund zu folgen. In seinem Text Zur Psychopathologie des Alltagslebens. Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum widmet Sigmund Freud dem Vergessen von Vorsätzen elf Seiten. Darin kommt der Schweinehund ebenso wenig vor wie die Willensschwäche. Freud interessiert sich vielmehr dafür, was dazu führt, dass wir etwas, was wir planen, was wir vorhaben und tun wollen, zu gegebenem Zeitpunkt nicht mehr erinnern. Ein Beispiel, das Freud heranzieht, ist ein Brief, den er auf einen Spaziergang mitgenommen hat, um ihn aufzugeben. Den müsse er in der Regel nicht die ganze Zeit fest in der Hand halten, um nicht zu vergessen, dass er ihn einwerfen wollte.

(Der gesamte Beitrag zur Sendung Gute Vorsätze, ist unter Philosophische Brocken zu hören).