Infolge der Entdeckung des Unbewussten muss das Ich anerkennen, dass es nicht Herr im eigenen Haus ist. Im eigenen Gedankenhaus. Freud schreibt, wie folgenschwer diese Erkenntnis sein kann: „Es tauchen plötzlich Gedanken auf, von denen man nicht weiß, woher sie kommen, man kann auch nichts dazu tun, sie zu vertreiben. Diese fremden Gäste scheinen selbst mächtiger zu sein als die dem Ich unterworfenen“. Unangenehme Folgen stellen sich ein: „Das Ich sagt sich, das ist eine Krankheit, eine fremde Invasion, es verschärft seine Wachsamkeit, aber es kann nicht verstehen, warum es sich auf so seltsame Weise gelähmt fühlt“ (Freud 1917, 9f.) Diese Beschreibung ist aus zwei Gründen auffallend. Zum einen verwendet Freud mit den Gästen und der Invasion Ausdrücke, die auch in aktuellen Diskussionen vorkommen: der Fremde als Gast, der Fremde als Teil einer Invasion. Und zum anderen klingt etwas an, was uns nicht nur angesichts des Fremden in uns, sondern auch gegenüber dem Fremden um uns herum überfällt, nämlich Angst – Freud spricht von Wachsamkeit und einer Lähmung.
Unter dem Titel Fremd im eigenen Haus sind die Vorträge der Sigmund Freud Vorlesungen 2016 im Mandelbaum Verlag erschienen. Der Band handelt von einer Reihe von Fragen, die das eigene Haus betreffen. Die wahren Gründe für Flucht und Terror werden nicht aufgedeckt. Und auch die Frage, ob und wie Grenzen zu ziehen sind in uns und um uns, wird nicht abschließend beantwortet. Vielleicht wird klarer, dass das Reden vom Notstand vor allem dazu dient, die Not anderer fern zu halten, weil sie an die Angst vor der eigenen Not erinnern könnte.
Lit.: Freud, Sigmund (1917): Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse. GW XII, 3-12.