In einem rezenten Artikel macht Wolfgang Leuschner (2017) auf Paul Schilders Körperbildstudien (1933, 1935, 1942) aufmerksam, auf welche auch Maurice Merleau-Ponty (1966 [1945]) teilweise Bezug nimmt. Leuschner erinnert an einzelne Aspekte des Schilderschen Ansatzes – die „Appersonisierung“ und den von Schilder so bezeichneten „Body Intercourse“ – die er für zu Unrecht vergessen haelt. Ausführlich wird das Körperbild von Leuschner als aktiver Operator geschildert, der ins Somatische wie ins Libidinöse, aber auch in die Umwelt reicht, als Operator von Bewegungen und Kommunikationen zwischen Physis, Psyche und Welt. Nicht nur werden alte Gemälde wie Giottos Beweinung Christi oder literarische Belege von Marcel Proust herangezogen, um Spiegelphänomene zu illustrieren, sondern auch Fallvignetten von nonverbaler Kommunikation zwischen Komapatienten und ihren Angehörigen, bei welchen sich (nicht mit Spiegelneuronen erklaerbare) Beruhigungen mit technischen Mitteln objektivieren ließen, kommen ins Spiel (Leuschner 2017, 135).
Ein paar lose Anmerkungen zu Leuschners Darstellungen:
– Das Körperbild mutiert zu einem vor allem aktiven Element. Die Auffassung, das Körperbild sei „Gestalter und Exekutive der »Hardware«“ (Leuschner 147) macht aus einem unbewussten Geschehen eine intendiert anmutende Handlungsfolge. Ob hier nicht ein Moment von Täuschung im Spiel ist? Vor dem Spiegel hat das Kind den Eindruck, es bei seinem Bild mit einem Akteur zu tun zu haben. Und als „Erwachsener werden wir auch weiterhin aufgrund / eines magischen Glaubens im Bild ein Doppel unserer Selbst sehen“ (Merleau-Ponty 1994, 324).
– Der Ausdruck „Body Intercourse“ zieht Aufmerksamkeit auf sich. Aber vielleicht ist es kein Zufall, dass er nicht zum gängigen Vokabular der Psychoanalyse geworden ist. Schilder möchte damit einen, wie in einem Sexualakt verschmelzenden Zustand von Körperbildern beschreiben. Die Verschmelzungsakte beziehen sich durchwegs auf Teilobjekte wie Milch, Brust, mit Kestenberg (1975) werden auch Kot und Urin einbezogen. Die Nachträglichkeit einer phantasierten Sexualisierung von Erfahrungen der Aufnahme, der Ausstoßung im Bereich von Mund, Darm, Harnröhre geht im Ausdruck „Body Intercourse“ wie auch in Leuschners Darstellung verloren.
– Manche Argumentationslinien des Texts erstaunen. Es wird zwar mehrfach affirmativ auf Merleau-Ponty verwiesen, um am Ende zum hastig begründeten und nicht nur deshalb erstaunlichen Schluss zu kommen, dass dessen Beitrag „in mehrfacher Hinsicht nicht »anschlussfähig«“ sei (Leuschner 2017, 147).
– Merlau-Ponty (1994) hat sich in seinen Sorbonne Vorlesungen ausführlich mit Lacans Spiegelstadium beschäftigt. Teile dieses Ansatzes reichen in Leuschners Thema hinein und werden von ihm ungenannt und unzitiert mithilfe eines unveröffentlichten Manuskripts von H. Gekle hereingeholt (vgl. Leuschner 2017, 130). Weshalb hier eine Erwähnung des Lacanschen Originaltextes fehlt, bleibt unklar – als wäre hier noch immer eine alte Auslöschung wirksam.
– Die von Leuschner betonte soziale Seite des Körperbilds wird übrigens auf eigenständige und originelle Weise in Lacans Spätwerk dargestellt, wo das Symbolische vor allem mit dem Loch (im Borromäischen Knoten) assoziiert ist, die Untrennbarkeit des Körpers in seiner Bildhaftigkeit vom – durch das Soziale geprägten – Symbolischen illustriert und beider Verflechtung mit weniger fassbaren, realen Aspekten in barocker Blumigkeit behauptet ist.
Leuschner, Wolfgang (2017): Paul Schilders Körperbild-Modell und der „Body Intercourse“, in: Psyche 2/2017, 123-150.
Merleau-Ponty, Maurice (1966 [1945]): Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin: De Gruyter.
Merleau-Ponty, Maurice (1994): Keime der Vernunft. Vorlesungen an der Sorbonne 1949-1952 (hg. B. Waldenfels). München: Fink.
Schilder, Paul (1933): Das Körperbild und die Sozialpsychologie, in: Imago 19, 367-376.
Schilder, Paul (1935): The Image and appearance of the human body: Studies in the constructive energies of the psyche. London: Kegan Paul, Trench, Trubner.
Schilder, Paul (1942): The body image in dreams, in: Psychoanalytic Review 29, 113-126.