Catherine Malabou (2016) vertritt folgende These: Clonen und epigenetische Prozesse, die in den vergangenen Jahrzehnten in biologischen Wissenschaften erforscht worden sind, lassen Konzepte, die eine Formierung unseres Körperverständnisses nur bzw. primär durch Symbolisierungsprozesse nahelegen, unzureichend erscheinen. Der Körper selbst ist ein Ort des Widerstandes.
M. versteht Foucaults Konzept der Biomacht als Synonym für Kontrolle, Regulierung, Ausbeutung und Instrumentalisierung von Lebewesen. Biomacht greift auf die Körper der Lebewesen zu. M. legt nahe, dass diese Körper – im wenig ausgearbeiteten Begriff der Biomacht – vielfach als passive Matrix gedacht sind. M. fokussiert dagegen (seit tausend Jahren diskutierte) aktive Momente/Keime (beides sind meine Worte, um zu beschreiben, was M. macht) in der Materie (wobei M. nur von „Körper“ schreibt, nicht von der Materie). M. denkt das Verhältnis „Körper-Politik“ wechselseitig verschränkt (an Merleau-Ponty erinnernd). Der Politisierung des Lebens wäre in diesem Sinne eine Biologisierung der Politik zur Seite zu stellen. Sie interessiere sich für den BIOpolitischen Widerstand gegenüber dem BioPOLITISCHEN.
Beispiele von Agamben und Esposito („biologische Realisierung des Nationalsozialismus) über die enge Verknüpfung zwischen dem Politischen und dem Biologischen im Nationalsozialismus werden von ihr angeführt. Dabei wird M.s Punkt weniger deutlich als beim Thema Clonen und Epigenetik.
In zeitgenössischen biologischen Konzepten werden Lebewesen als offene Strukturen gedacht, in denen sich mehrere Regime des Gedächtnisses, der Übermittlung von Erinnerung und Vererbung überkreuzen. M. scheint hervorheben zu wollen, dass Anknüpfungsstellen für Machttechniken nicht an der Oberfläche der Körper liegen, sondern tiefer im Organismus, wo sie auf körpereigene Machttechniken treffen.
In der Epigenetik wird heutzutage das erforscht, was an Modifikation des genetischen Codes durch Umwelteinflüsse auf das Individuum geschieht. Auf zellulärer Ebene handelt es sich dabei um die Aktivierung und Desaktivierung von genetischen (DNA-codierten) Sequenzen durch Boten-(RNA)Sequenzen. Diese Aktivierung/Desaktivierung wird weiter vererbt (ein Beweis für den lange bezweifelten Lamarckismus, der Vererbung von erworbenen Eigenschaften). M. liest diese Prozesse als eine nicht-symbolische Prägung des Organismus.
Das Clonen betrifft zwei Zusammenhänge: die asexuelle Reproduktion und die Regeneration von Zellen. M. hebt die Bedeutung der heutigen Stammzellforschung hervor. Stammzellen (=früh in der Entwicklung eines Organismus vorhandene pluripotente Zellen) verkörpern eine bis dato wenig berücksichtigte Vorstellung der Reversibilität von Leben, als enthielte jeder Körper ewiges Leben über die im Organismus schlafenden „Sporen“. Biotechnologische Innovation wäre in diesem Sinn keine vor allem äußere Manipulation an Organismen, sondern sie würde auf bereits im Organismus vorhandene, ältere Möglichkeiten zurückgreifen, nachdem den Säugern eine Selbstreparatur auf diesem (Um)Weg evolutionär verloren gegangen ist.
Was hat das alles mit M.s Thema des Widerstandes zu tun? M. unterstreicht die Koinzidenz von symbolischem und biologischem Subjekt, die sie in den angesprochenen Konzepten verwirklicht sieht. Genome werden permanent reprogrammiert durch den Organismus selbst und widersetzen sich damit einem symbolischen Einfluss. Prothesenfreier Ersatz von Körperteilen erfolgt durch den Körper selbst.
Catherine Malabou (2016): One Life Only: Biological Resistance, Political Resistance, in: Critical Inquiry 42 (Spring 2016), 429-438.