Lacan hat den Ödipuskomplex in den Fünfziger Jahren immer wieder aufgegriffen. Nicht nur rekurriert er in seinen Seminaren über Die Psychosen, über Die Objektbeziehung und über Die Bildungen des Unbewussten affirmativ auf ihn. Sondern er bringt den für Freud zentralen Mythos mit Elementen seiner eigenen Theorie in Verbindung. So unterscheidet er etwa einen imaginären von einem realen Vater oder eine symbolische Mutter (vgl. dazu Grigg 2008, 37f.). Das ist alles nichts Neues in diesem blog. Weniger berücksichtigt ist, dass Lacans Beschäftigung mit dem Ödipuskomplex Ende der Sechziger Jahre in eine Ablehnung seines Wertes für die Kur mündet. Lacan löst dabei zunächst die Verbindung zwischen dem Kastrationskomplex und dem Ödipuskomplex, entfernt die familiale Romantik (ebd., 46) und verabschiedet sich schließlich von Ödipus, der nicht so sehr ein Mythos sei, sondern ein zu analysierender Traum Freuds (vgl. Lacan 1991, 134). Die Analyse dieses Traums zeige, dass Freud mittels des Ödipuskomplexes den Vater retten wollte (vgl. Grigg 2008, 47ff.).
Doch der Vater als eine Funktion ist, so lässt sich Lacan verstehen, auf diese Weise nicht mehr zu retten – weder in der Kur noch in der Kultur. Der für den Ödipuskomplex in der Kur konstitutive Diskurs der Hysterikerin trägt nicht (mehr) genug. Sie, die so tut, als wolle sie den Anderen regieren lassen, um selbst zu herrschen (vgl. Grigg, 53), hat keinen großen Einfluss mehr auf das, was sich als Psychoanalyse halten kann. Da hilft kein Rekurs auf ein vereinigtes Elternpaar, mit dem nichts anderes als ein Hehler des Genießens unter dem Namen „Gott“ eingeführt werde (vgl. Lacan 1991, 113). Ähnliches sah Lacan auch am Werk in dem, was manche Ende der Sechziger Jahre für revolutionär angesehen haben: es wird (vergeblich) nach einem Herrn gesucht (vgl. ebd., 239). Lang schon ist die Mutter ins Zentrum gerückt, deren, von erdrückendem Genießen geprägtem Begehren so gut wie gar nicht zu entkommen ist. Lacans Antwort jenseits des Ödipus sind die vier Diskurse. Der Herr, der als Signifikant dabei ist, habe nur sehr entfernte Bezüge zum Konzept des Vaters (vgl. Grigg 2008, 52).
Es fällt nicht leicht, das so beschworene Schicksal des Vaters zuzuordnen. Der postchristliche Nachgeschmack vergangener Herr-lichkeiten klingt ebenso an wie kulturelle Verschiebungen in den Verhältnissen zwischen Geschlechtern oder Generationen. Und ein weit reichender Pessimismus.
Lit.:
Grigg, Russell (2008): Lacan, Language and Philosophy, New York: SUNY.
Lacan, Jacques (1991): Le Séminaire. Livre XVII (1969-1970), Paris: Seuil.