Ob im Freundes- und Bekanntenkreis oder in akademischen Diskussionen: immer wieder ist der Vorwurf zu hören, Psychoanalyse würde den Dingen ungerechtfertigt eine sexuelle Bedeutung unterstellen, die diese eigentlich gar nicht haben. Ein Baum sei ein Baum, ein Haus bleibe ein Haus, auch wenn wir von einem träumen oder es nicht mehr betreten wollen. Psychoanalyse suggeriere auf Basis von längst der Vergangenheit angehörenden sozialen Gebilden (wie der Familie) ein Eigenleben sexueller Konnotationen, das ohne die Psychoanalyse nicht (mehr) existieren würde.
Es lohnt sich, diesem Vorwurf nachzugehen. Er reicht weit hinein in unsere Vorstellungen über die Existenz von Dingen und über die Bedeutung von Worten. Wenn ich schreibe, ein Haus ist ein Haus, beziehe ich mich mit einem verbalen Ausdruck, einem Signifikanten, auf eine Sache, ein Objekt. Das scheint eine klare Angelegenheit zu sein: Das Objekt erhält einen Namen. Mit diesem Namen kann ich mich mit anderen über das Objekt auch bei Abwesenheit des Objekts verständigen. Der Name funktioniert als Symbol.
Eine solche Bezugnahme auf Sachen lässt sich als Hinweis auf einen günstigen Verlauf lesen. Die Sachen in einen symbolischen Zusammenhang bringen, ist – auf den ersten Blick – Teil einer sogenannten Erfolgsgeschichte des Subjekts. Es macht sich die Dingwelt untertan. Es kann sich auf das Haus beziehen, auch wenn das Haus gar nicht da ist.
Allerdings ist eine desinteressierte, coole Bezugnahme auf Sachen bei den meisten Sachen gar nicht möglich. Für das Haus z.B. gilt: manche werden Architekten, andere befassen sich nur mit dem Bau eines eigenen Hauses, wieder andere haben einen Blick für Häuser von Fremden, noch mehr interessieren sich gar nicht für Häuser (oder glauben das zumindest). Und eine kleine Gruppe von Leuten kann gar nicht hinein gehen in (meistens: bestimmte) Häuser, weil sie sich von Angst überwältigt fühlen. Sie leiden z.B. an einer Klaustrophobie, einem Symptom.
Rudolf Heinz (1995) unterstreicht mit Fenichel (1982) eine „Wahrnehmungsgefahr“, die aus bedrohlichen Triebqualitäten des Subjekts gegenüber den Sachen resultiert. Er nennt im Hinblick auf unseren Umgang mit den Sachen angesichts der Gefahr, etwas Unliebsames, weil mit größerem Triebdruck Verbundenes wahrnehmen zu müssen, zwei Möglichkeiten: wir können ein Symbol bilden oder ein Symptom. Für das im Vollsinn funktionierende Symbol bedarf es eines untergegangenen Ödipuskomplexes. Andernfalls bilden sich Symptome, die von einfachen Fehlleistungen bis hin zu kompliziert aufgebauten Arrangements mit strukturbildender Funktion reichen.
Das Haus als Symbol für das weibliche Genital zu verwenden, ist wie bei vielen symbolischen Ersetzungen ein impliziter Akt, der sich auf Ähnlichkeiten in der Morphologie stützt zwischen Haus und genitalem Innenraum der Frau. Allerdings bestehen, und darauf weist Heinz hin, in der Regel sehr viel mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten zwischen Symbol und Sache. Bei der Ersetzung von Scheide und Gebärmutter durch das Haus wird beispielsweise etwas Lebendiges durch etwas Lebloses, etwas Kleines durch etwas vergleichsweise Großes, etwas Weiches durch etwas Hartes, etwas Zugängliches durch etwas sehr viel weniger Zugängliches, etwas Privates durch etwas Öffentliches etc. ersetzt. Ist es ein übergroßer Wahrnehmungsdruck, den es mit solchen auch unpassenden Ersetzungen auszugleichen gilt, sodass auf Details wenig Rücksicht genommen werden kann?
Welche Ersetzungen symptomatischer wie symbolischer Art vorgenommen werden, ist – so eine auch heute noch immer wieder verbreitete Annahme – eine subjektive Angelegenheit. Welche Bedeutung ein Signifikant trägt, ist nur zu begreifen, wenn die Bedeutungen für ein Subjekt gefunden, erfasst, ausgesprochen sind. Doch Heinz widerspricht hier. Diese konstruktivistische Lieblingslinie freudomarxistischer Argumentation sei nie besonders zielführend gewesen. Die Annahme, das Subjekt verfüge über ödipal vermittelte Reaktionsreserven gegenüber den Sachen, greift zu kurz. Der Subjektivismus der Psychoanalyse hat allen Grund, einem Objektivismus zu weichen und zu den Sachen selbst zurück zu kehren.
Was würde das bedeuten? Nicht erst ein ödipales Geschehen würde den Sachen ihren Index verleihen, sondern die Konstitution der Sache fände sich bereits eingebettet in einen triebhaften Kontext. Anders gesagt: anstelle sich an den a/anderen zu wenden, verdinglicht das Subjekt seine Wahrnehmungen zu Sachen, die eigenen Wahrnehmungen auf diese Weise entschärfend. Heinz‘ Überlegungen erinnern ein wenig an Melanie Kleins Vorstellung, dass es die Angst sei, die bei der Symbolbildung kleiner Kinder zu einer Gleichsetzung von „Organe[n] mit anderen Dingen“ führe (Klein 1930, 353). Körperliche und sexuelle Wahrnehmungen und damit verbundene Fantasien gehören zum Entstehungskontext der Sachen und werden sekundär durch symbolische Differenzierungsbewegungen möglichst unkenntlich gemacht.
Das könnte erklären, weshalb sexuelle Konnotationen als Erinnerungsspur enthalten bleiben in den Symbolen auch in gar nicht psychoanalyseaffinen Weltgegenden und obwohl so viele meinen, ein Haus sei doch einfach nur ein Haus.
Literatur:
Fenichel, Otto (1982): Hysterien und Zwangsneurosen. Psychoanalytische spezielle Neurosenlehre. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Heinz, Rudolf (1995): Kann es ein „Psychoanalyse der Sachen“ (Sartre) geben? In: texte. psychoanalyse. ästhetik. kulturkritik 1995/3, 7-19.
Klein, Melanie (1930): Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ich-Entwicklung, in: dies. (1995): Gesammelte Schriften I/1, 351-368.