Schutzreiz

Die argentinische Künstlerin Nicola Costantino stellt Hautobjekte her: Mäntel, Taschen, Schuhe oder Fußbälle aus einem speziellen Silikonmaterial. Mit ihrer ungewöhnlichen Oberfläche regen sie (nicht nur zum Nachdenken) an. Wir sind gewohnt, dass unser Körper nach außen (oder dem, was wir für außen halten) mit unserer Haut abgegrenzt wird. Kleider und Schuhe affirmieren diese Grenze, indem sie sie umspielen. Costantino scheint die Grenze nach außen zu verlagern. Und im Rahmen dieser Verlagerung stellt sie mittels der wundersamen Vermehrung von Brustwarzen verdichtet zwei Hautfunktionen auf einmal dar: die Haut als Basis sexueller Erregung und die Haut als Ort libidinöser Aufladung (vgl. dazu Anzieu 1996). Reizvoll.

Nicola Costantino (2000): Pair of shoes

Baldur Burwitz hat in seiner Arbeit Fliege total ein anderes, entwicklungsgeschichtlich weiter zurück reichendes Element bearbeitet: den Reizschutz. Die Bedeutung der Haut als Reizschutz ist ebenso grundlegend für das Subjekt wie ihre Container- und ihre Hüllenfunktion (vgl. ebd.). In Burwitz‘ Arbeit wird, so könnten wir sagen, aus dem Reizschutz ein Schutzreiz. Zwei Momente, der Reiz und der Schutz vor dem Reiz gerinnen zu einer einzigen Schicht, wo tausende Körper von toten Fliegen zur Oberfläche eines Gesichts geworden sind, aus dem die Augen entsetzt hervorstarren.

In seiner Notiz über den „Wunderblock“ schreibt Freud 1925 von einem Aufbau aus zwei Schichten: einer weiter außen liegenden Schutzschicht über einer weiter innen liegenden Schicht zur Reizaufnahme. Unterbrechung ist nötig, wo Kontakt entstehen soll. Wenn Reiz und Schutz in eins fallen, wird beides unmöglich: der Reiz wie der Schutz. Burwitz‘ Kopf und der Schutzreiz lassen sich als ekelerregende Metaphern eines ungebremsten Genießens begreifen.

Literatur:

Anzieu, Didier (1996): Das Haut-Ich. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Freud, Sigmund (1925): Notiz über den „Wunderblock“. GW XIV, 3-8.

Baldur Burwitz (2010): Fliege total

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