Einer befürchteten Fragmentierung in der psychoanalytischen Welt war eine kleine Konferenz gewidmet, die THERIP an diesem Wochenende in London veranstaltet hat. Als gemeinsames Ausgangsmaterial hatte man The Need for True Controversies in Psychoanalysis von Ricardo Bernardi (Montevideo) gewählt und bereits im Vorfeld elektronisch eine Diskussion über diesen Artikel zu führen begonnen. Ist überhaupt ein Dialog möglich? So lautete der Untertitel der Tagung. Oder haben wir die bestehenden Grenzen so zu nehmen, wie sie historisch gewachsen sind?
In der Psychoanalyse hat es immer schon Kontroversen und Debatten gegeben. Deborah Lüpnitz (Philadelphia) erwähnt gleich zu Anfang die Differenz zwischen André Green und Daniel Stern hinsichtlich des Status der Säuglingsforschung. Die sei weniger Science als Science fiction, soll Green gesagt haben. Der Status der Psychoanalyse im derzeit gültigen Kanon von Wissenschaften ist bis heute Gegenstand endlosen Streitens. Lüpnitz vertritt eine klare Position: Ist nicht in erster Linie zu betrauern, dass die Psychoanalyse eben keine harte Wissenschaft ist, anstatt sich energievoll mit ihrer, von jeder/m KlinikerIn erlebten, aber empirisch erst noch nachzuweisenden Wirksamkeit zu befassen? Ein Großteil des Publikums folgt ihre
m stringenten Argument. Und David Henderson (London) bestätigt es in seinem Vortrag, in welchem er Psychoanalyse vor allem mit einem „Zwischen“ in Verbindung bringt – zwischen Science und Humanities, zwischen Vater und Mutter, zwischen 15 Uhr und 15:50 Uhr. Da allerdings erhebt Lüpnitz Einspruch und fragt, ob Henderson durch diese Festlegung alle Analysen, in denen skandiert wird, diskreditieren möchte. Die Klinik mit ihren verschiedenen Stilen und Techniken der Arbeit bildet schon lange ein großes Feld von Auseinandersetzungen.
Ein weiterer Bereich von dialogbedürftigen Divergenzen ist eine Konsequenz von historischen Verläufen, die durch verschiedene Trennungen Freuds und seiner NachfolgerInnen bestimmt sind, z.B. jene zwischen Freud und C.G. Jung, der George Hogenson (Chicago) besonderes Interesse entgegen bringt, und beispielsweise die Trennungen zwischen Melanie Klein und Anna Freud oder zwischen Lacan und der Quatrième Groupe. Auch schulenübergreifende Differenzen über psychoanalytische Grundbegriffe wären hi
er zu nennen. Vivian Burgoynes (London) Diskussionsbeitrag spricht aus, was viele sich denken: Wie kommt es, dass es so wenig Vergleich innerhalb der Psychoanalyse gibt?
Bernardi hatte in seinem Text vorgeschlagen, dass verschiedene Regeln und Bedingungen einzuhalten sind, damit ein fruchtbarer Diskurs geführt werden kann. Im Ausgang von einer Konferenz in Uruguay, auf der Leclaire 1972 polemisch und unwirsch strukturalpsychoanalytische Thesen gegen eine objektbeziehungstheoretische Lesart der Psychoanalyse vertreten hat, macht Bernardi seinen Standpunkt deutlich: wo von einer intrinsischen Superiorität des eigenen Standpunktes ausgegangen wird, ist kaum mehr ein kreativer Dialog zu erwarten. Denn inhaltliche Divergenzen werden in einer solchen Atmosphäre rasch zu Machtfragen stilisiert.
Bernhard Burgoyne (London) gibt der Diskussion eine etwas andere Richtung. Die Psychoanalyse ist nicht allein. Auch andere Disziplinen wie etwa die Mathematik zerfallen in Subdisziplinen, zwischen denen der Dialog schwierig oder unmöglich ist. Interessanterweise würde kaum jemand von einer Fragmentierung der Mathematik sprechen. Für PhilosophInnen gilt das auch. Einzelne philosophische Strömungen wie die Phänomenologie, die Philosophie des Deutschen Idealismus oder die Analytische Philosophie verfügen nicht über dieselben Grundkonzepte und befassen sich mit ganz unterschiedlichen Fragen. Angesichts solcher Beobachtungen ist es vor allem auffällig, dass die Identität von PsychoanalytikerInnen anders als etwa von MathematikerInnen an eine Idee von Einheitlichkeit und Überschaubarkeit des theoretischen wie des klinischen psychoanalytischen Feldes gebunden zu sein scheint. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass dieser Wunsch nach einer möglichst geschlossenen Ganzheit narzisstischen Ursprungs ist, dass die Psychoanalyse als noch sehr junge Diszipli
n auf ein kohärentes Selbstbild setzen muss, um die eigenen Ängste der Fragmentierung auszuhalten. Bernhard Burgoyne situiert die Logik der Psychoanalyse innerhalb eines größeren wissenschaftstheoretischen Rahmens und bettet die Ängste vor Zerstückelung auf diese Weise symbolisch ein. Er weist einmal mehr darauf hin, dass Freud selbst die Orientierung an der Wissenschaft gefordert hat.
Der ersehnten inneren Homogenität stehen allerdings nicht nur die verschiedenen Ausrichtungen der Psychoanalyse entgegen. Auch kulturelle, gesellschaftliche und darauf antwortende Entwicklungen der Psychoanalyse widerstreben einer ungebrochenen Kohärenz: Werner Prall (London) nennt als Beispiel den Wandel im Deutungsstil, der sich in den meisten psychoanalytischen Techniken eingestellt hat. Zögern und Uns
icherheit, die lange Zeit nicht zu den Tugenden von PsychoanalytikerInnen gezählt haben, gehören heute geradezu zu deren Repertoire. Hier ist natürlich an den Begriff des sujet supposé savoir zu denken, dem sein Nichtwissen konzeptuell eingeschrieben ist.
An die offensichtlich fragile Identität von PsychoanalytikerInnen wendet sich Bernardi mehrmals im Verlauf der Konferenz. Weshalb wird noch immer von Kleinianischen, Lacanianische oder klassisch Freudianischen Analysen gesprochen? Sind es nicht die PatientInnen, die den Verlauf von Analysen bestimmen? Und haben wir kein Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten, in einem Dialog mit unserer klinischen Arbeit konzeptuelles Neuland zu betreten? John Heaton (London) bringt von Wittgenstein her ein, dass auch Psychoanalytiker die Grenzen ihrer eigenen Sprache im Blick haben müssen. Jenseits von ausformulierten Ideen haben PsychoanalytikerInnen keinen Zugang zur Welt der Phänomene, die ihnen auf Seiten von AnalysantInne
n begegnen. Claire Pajczkowska (London) macht im Hinblick auf die Arbeit an der psychoanalytischen Theorie aufmerksam auf einen geschlechtertheoretischen Aspekt: Sehr viel psychoanalytische Theorie ist von Männern erdacht worden. Die klinische Arbeit heutzutage wird zum größeren Teil von Frauen getragen und erfährt damit wie alle Arbeit, die von Frauen gemacht wird, eine Entwertung. Für Psychoanalyse ist dieser gender-gap zwischen Theorie und Praxis ein Problem, droht ihr doch damit ihre sehr eigene Form der Generierung von neuen Theorien verloren zu gehen.
Es war eine vor allem lebendige Konferenz, die Schulengrenzen nur an wenigen Stellen in den Vordergrund gerückt hat. Ein schönes Beispiel dafür, wie theoretische Neugier auch vor fremdem Territorium nicht halt machen braucht, bot Luke Thurston (London) mit seinem humorvollen Herangehen an das Dämonische, das in der Jung-Freud Kontroverse aufleuchtete. Ist Dialog also möglich? Die Frage hat sich verschoben. Dialog findet statt. Und er kann Lust bereiten.