Nichts mehr zu lachen?

Psychoanalytische Diskussionen sind gegenwärtig, abgesehen von wenigen Ausnahmen, kaum mit kreativen, künstlerischen, kulturstiftenden oder politischen Phänomenen befasst. Die klinischen Diskussionen um Behandlungstechniken, Behandlungssettings oder um die schwer zu sichernde Behandlungsfinanzierung nehmen mehr und mehr Platz ein. Eine Neuerscheinung zu Ernst Kris macht deutlich, warum diese Entwicklung, sollte sie sich fortsetzen, bedauerlich wäre. Denn Psychoanalyse würde

sich in denselben Fallstricken verlieren wie die Medizin. Ohne ihre Kulturtheorie wäre Psychoanalyse nicht mehr in der Lage, den sozialen und das heißt auch politischen Rahmen der psychischen Entwicklung adaequat und differenziert zu thematisieren und wäre in Gefahr, einem sinnarmen cerebralen Paradigma zugeordnet zu werden.

Ernst Kris hat bekanntlich zusammen mit Heinz Hartmann und Rudolph Loewenstein Schriften zur Ich-Psychologie verfasst.  Dabei sei es in erster Linie Kris gewesen, der die Texte schrieb, und zwar deshalb, weil er von den dreien am besten Englisch konnte (vgl. Thompson 2013, 185). Lacan, Analysant von Rudolph Loewenstein, sah in Kris einen, der vor allem das Begehren auf einen Anspruch zu reduzieren suchte. Diese Kritik, über deren Berechtigung diskutiert werden kann (vgl. Fink 2004), hat im strukturalpsychoanalytischen Kontext einige Aufmerksamkeit erfahren – vielleicht mehr als die Tatsache, dass Kris ein politisch wacher, wenn auch monarchistisch ausgerichteter (vgl. Kris 2013, 10) Bürger der 1930ger Jahre und  später aktiv im Dienste eines Propagandaabwehrkampfes gegen das nationalsozialistische Deutschland war.

Kris hatte zunächst Kunstgeschichte studiert und war bis zu seiner Emigration am Kunsthistorischen Museum in Wien angestellt. In engen Kontakt mit Freud kam er, der sich als Psychoanalytiker ausbilden ließ, über seine Frau Marianne Kris, geb. Rie, die ebenfalls Psychoanalytikerin war. Im Kontext seiner erzwungenen Emigration begann er sich mit Propaganda (Wilke 2013) und öffentlicher Meinungsbildung auseinander zu setzen. Er schätzte das Experimentelle (vgl. Rose 2013, 34), was sich etwa in seinen nie veröffentlichten Studien zum mimischen Ausdruck von Skulpturen im Naumburger Dom (vgl. Levy 2013) widerspiegelt. Und er wählte politisch unkonventionelle Formen des Aufbegehrens, wenn er beispielsweise 1936 in Wien gemeinsam mit seinem Assistenten Ernst Gombrich eine Ausstellung zu Honoré Daumiers Karikaturen, einem vitalen Ausdruck republikanischen Widerstandes gegen das französische Königtum, organisierte.

Anders als Lacan, der auf dem Kongress in Marienbad 1936 seinen Vortrag über Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion ja nicht zur Gänze halten durfte, wurde Kris auf derselben Veranstaltung nicht daran gehindert, seine Bemerkungen über das Lachen zu Ende zu führen. Ob das am Thema gelegen haben mag? Kris setzte sich zu dieser Zeit intensiv mit Humor und Komik auseinander. Und es waren auch bei ihm vor allem Bilder, mit denen er sich befasste. Er reagierte mit seinen Arbeiten zur Karikatur (vgl. Kris 1933, 1934, Kris/Gombrich 1938, 1940), so Patrick Merziger in seinem lesenswerten Text, auf einen deutschsprachigen, nationalsozialistischen Forschungsdiskurs, der das Lachen und die Komik vor allem in strategischer Hinsicht untersuchte. Lachen und Komik waren interessant nur im Hinblick auf ihre politischen Effekte (vgl. Merziger 2013, 122). Kris dagegen analysierte eine solche „Politik der Gefühle“ (ebd.). Die Karikatur sah er vor allem durch ein Umschlagen von Lust in Unlust (vgl. Kris 1934, 459) charakterisiert, durch die Tatsache, dass die Karikatur mit einer besonderen Einladung arbeite – einer Einladung zu Aggression und Regression. Karikaturist und Betrachter hätten sich implizit darauf geeinigt, das Bild lediglich als Bild mit Unwirklichkeitscharakter anzusehen. Und das vom Betrachter zunächst zu lösende Rätsel, worauf und auf wen eine Karikatur anspiele, gestatte es, die enthaltene Aggression ebenso wie die Regression nicht zu sehen. Das Lachen sei Folge dieser Bewegungen. Denn wenn ein Subjekt das Aggressive und Regressive an Karikaturen wahrnähme, würde ihm (bzw. seinem Überich) das Lachen im Halse stecken bleiben (vgl. Merziger 2013, 129).

Der Band besteht hauptsächlich aus Beiträgen einer Konferenz zu Ernst Kris‘ Schaffen, die 2008 in Berlin stattgefunden hat. Er weckt in mancher Hinsicht Neugierde, z.B. auf die provokante These (vgl. Krüger 2013), dass der Übergang zwischen Mythos und Wissenschaft im Hinblick auf die Künstlerbiographie fließend sei (Kris/Kurz 1934). Die Textsammlung verweist auf eine Vielzahl von Querverbindungen, die sich vom Psychoanalytiker Kris zu Prinzhorns Kunst der Geisteskranken (Röske 2013), zur Erforschung der Renaissancekunst (Falguières 2013), zu gegenwärtiger Kunsttherapie (Niederreiter 2013) oder zu heutigen Formen des Lachens im Fernsehen (Pfarr 2013) erstrecken. Pfarr weist übrigens darauf hin, dass mit Lacan und Zizek die Regression anders als mit Kris nicht nur als ein Moment anzunehmen ist, das einem strengen Überich entgeht, sondern dass sie als ein Produkt des Überichs – des Imperativs zu genießen –  anzusehen ist (vgl. ebd., 172).

Literatur:
Falguières, Patricia (2013): Die Natur als Verteidigung, in: Krüger, Röske 2013, 35-48.
Fink, Bruce (2004): Lacan to the Letter. Reading Écrits Closely. Minnesota: University Press.
Kris, Anton O. (2013): Vorwort, in: Krüger, Röske 2013, 9-12.
Kris, Ernst (1933): Die Karikaturen des Dantan, Paris-London, 1831-1839. Ausstellungskatalog. Wien: Corps de Logis der neuen Hofburg.
Kris, Ernst (1934): Zur Psychologie der Karikatur, in: Imago 20, 450-466.
Kris, Ernst / Otto Kurz (1934): Die Legende vom Künstler. Frankfurt/M., 5. Aufl.: Suhrkamp 1995.
Kris, Ernst (1936): Honoré Daumier; Zeichnungen, Aquarele, Lithographien, Kleinplastiken. Ausstellungskatalog. Wien: Albertina, Kulturbund Wien.
Kris, Ernst / Ernst H. Gombrich (1938): The Principles of Caricatures, in: British Journal of Medical Psychology 17, 319-342.
Kris, Ernst / Ernst H. Gombrich (1940): Caricature. Middlesex: Hammondsworth.
Krüger, Steffen (2013): Die Legende vom Künstler als Propagandastrategie, in: Krüger, Röske 2013, 99-117.
Krüger, Steffen / Thomas Röske (Hg.) (2013): Im Dienste des Ich. Ernst Kris heute. Wien: Böhlau Verlag.
Levy, Evonne (2013): Ernst Kris und der Nationalsozialismus. Politische Subtexte in einem verschollenen Experiment über Reaktionen auf die Chorfiguren des Naumburger Doms (1933-1935), in: Krüger, Röske 2013, 83-98.
Merziger, Patrick (2013): Gemischte Gefühle. Ernst Kris‘ Theore zur Karikatur und zum Lachen im Kontext der Diskussion über den Humor im Nationalsozialismus 1934-1938, in: Krüger, Röske 2013, 119-136.
Niederreiter, Lisa (2013): Kris und die künstlerischen Therapien heute, in: 49-62.
Pfarr, Ulrich (2013): Vom Kabarett zur Comedy. Lachen im Fernsehen und seine ideologischen Effekte, in: Krüger, Röske 2013, 157-173.
Rose, Louis (2013): Von Wien nach New York: Ernst Kris‘ Kulturpolitik, in: Krüger, Röske 2013, 19-34.
Röske, Thomas (2013): Ernst Kris und die „Kunst der Geisteskranken“, in: Krüger, Röske 2013, 63-81.
Thompson, Nellie L. (2013): Ernst Kris in Amerika, in: Krüger, Röske 2013, 175-190.
Wilke, Jürgen (2013): Ernst Kris‘ Propagandaforschung im institutionellen und theoretischen Kontext, in: Krüger, Röske 2013, 137-156.

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