Am vergangenen Donnerstag titelte Paris Match: „Das Geheimnis des berühmten Bildes gelüftet. Hier das Gesicht vom ‚Ursprung der Welt‘. Der obere Teil von Courbets Meisterstück gefunden“. Eine überraschende Wendung. Hatte Courbets Bild die Öffentlichkeit doch bisher mehr deswegen beschäftigt, weil es immer wieder verschwunden war. Plötzlich scheint es nun mehr zu sehen zu geben, als das Bild selbst je zu sehen geben konnte.
Das Bild hat nicht nur die Lacanforschung beschäftigt, sondern es hat in jüngerer Zeit auch eine Debatte über Zensurierungen in Facebook ausgelöst. Die Frage, ob das aktuell gefundene Kunstwerk tatsächlich von Courbet stammt, muss an anderer Stelle entschieden werden. Auch ob Irland nun in besonderer Weise mit dem Bild verbunden ist, weil der gefundene Kopf zu einer irischen Frau gehört haben könnte, kann hier nicht weiter untersucht werden. Zweifellos stellt der aktuelle Fund einiges bisher zu diesem Kunstwerk Gedachte auf den Kopf.
Bisher konnte das Bild als eine (etwas schwülstige) metaphorische Darstellung von dem gelten, was pathetisch mit „dem Weiblichen“ assoziiert wurde. Die Essenz von Weiblichkeit. Der Ursprung der Welt als das, was das Wesen der Frau ausmacht. Mit dem Kopf nebendran lässt sich die Idee eines Gemeinsplatzes „der“ Frau nicht mehr aufrecht erhalten. Plötzlich ist es eine bestimmte Frau, deren Zerstückelung zum Zwecke der Herstellung eines Kunstwerkes mit oder ohne echtem Courbetkopf manifest geworden ist.
Bilder wirken vor allem durch das, was sie nicht zeigen. Diese Annahme gilt es zu präzisieren angesichts der Hype, die das gefundene Gesicht ausgelöst hat. Selbst wenn Bilder niemanden Bestimmten zeigen, in diesem Sinne etwas nicht zeigen, haben sie eine Wirkung. Doch diese Wirkung steigert sich, wenn etwas oder jemand Neues gezeigt wird auf einem Bild. Denn in diesem Moment wird ein Bild wie Courbets L’Origine du Monde gleichermaßen schematisch, substitutiv und intrinsisch aktiv (vgl. Bredekamp 2010). Die BetrachterInnen werden vom Bild in Bann gezogen. Ist das ein Kopf? Wem gehört der Kopf? Was will der Kopf mir sagen? Der acephale Trieb umkreist den Kopf.
Die Hoffnung, dass sich in dieser Kreisbewegung sämtliche Unklarheit auflösen könnte, ist eine vergebliche. Hinter jeder Frage lauert die nächste.
Lit.:
Bredekamp, Horst (2010): Theorie des Bildakts. Frankfurt/M.: Suhrkamp.