Naturpuppen

Auf der dOCUMENTA (13) ist gleich hinter dem Eingang in die Documentahalle eine Vitrine mit 100 leeren Schmetterlingspuppen zu sehen. Die Künstlerin Kristina Buch hat sie zusammengestellt. Eine Komplizin der Natur sei sie nicht, meinte Buch in einem – im Netz nicht mehr verfügbaren – Interview, sondern sie verwende die Natur nur als Material – so wie andere KünstlerInnen Pinsel und Farbe gebrauchen. In ihrer leisen Kunst ginge es ihr eher um ein Verlangen, um ein Berührtwerden von den Schmetterlingen, als um ein politisches statement. Nicht Ökokunst, sondern etwas Tieferes wolle sie machen.

Wir können Buchs Hinweis auf das Verlangen als einen Hinweis auf das Begehren im Lacanschen Sprachgebrauch übersetzen. Auch mit den Bemerkungen zu ihrem Kunstwerk führt Buch in einen Kontext, in dem sich psychoanalytisches Denken seit langem bewegt und der sich in der Frage verdichten lässt: Wie sollen wir uns unser Verhältnis zu dem, was seit langer Zeit Natur genannt wird, zurecht legen? Sind Schmetterlinge etwas Anderes als Pinsel? Müssen wir erhebliche Unterschiede machen zwischen Barbiepuppen und Naturpuppen? In manchen Lektüren einzelner Lacanscher Texte wird betont, dass subjektkonstitutives Begehren zugänglich wird nur über einen Mangel, der mit der Einführung der Sprache als etwas, was nicht als Natur zu bezeichnen ist, zusammenhängt. Das nicht zu sehen hieße, die besondere Funktion der Verneinung übersehen. Insbesondere in Abhebung von einem objektbeziehungstheoretischen Zugang werden solche und ähnliche Überlegungen bisweilen angeführt (vgl. z.B. Meyer zum Wischen 2005, 202).

Vielleicht sind es etwas eingefahrene Denkgewohnheiten, aufgrund derer solche Gegenüberstellungen bis heute öfter in den Vordergrund rücken. Lacan jedenfalls bezieht sich mehrfach in seinem Werk auf Roger Caillois, für den nicht in erster Linie der Künstler, sondern die „natura pinxit und dem die Malerei als Fortsetzung eines Werkes der Natur gilt. Zu erwähnen wäre hier etwa die Gottesanbeterin in Lacans Angstseminar, die das Männchen nach dem Begattungsakt verspeist und die zum Vorbild wird für eine existentielle menschliche Angstsituation. Auch in seinem Text über das Spiegelstadium bezieht sich Lacan affirmativ auf Caillois‘ Forschungen, die die Mimikry im Tierreich in menschlichen Raumvorstellungen wiederentdeckt (Caillois 1935).

Es ist gewiss zu früh, aus solchen Verbindungen weitreichende Schlüsse zu ziehen. Jedenfalls aber ist es ein lohnendes Unternehmen, sich abseits von hinlänglich Bekanntem mit solchen textuellen Verbindungen genauer auseinander zu setzen. An Buchs Bemerkung über ihr Material irritiert zumindest der anthropozentrische Beigeschmack.

Lit.:
Caillois, Roger (1935): Mimese und legendäre Psychasthenie, in: ders. (2007): Méduse & Cie, Berlin: Brinkmann und Bose, 24-43.
Meyer zum Wischen, Michael (2005): Der Bruder an der Brust der Mutter. Überlegungen zu Neid und Psychose, in: Jahrbuch für klinische Psychoanalyse 6: Aggressivität, 199-228.

Schreibe einen Kommentar