Bei Freud lassen sich drei Formen der Identifizierung unterscheiden (vgl. für das Folgende Freud 1921, 115 ff. und Bonnant 2010):
1) Eine erste Form, in der ein Ich (moi) sich nach dem Vorbild eines Anderen gestaltet. Sie entspricht einer oralen Inkorporation – Freud vergleicht sie mit einem kannibalistischen Verhalten. Sie geht jeder Objektbesetzung im eigentlichen Sinn voraus. Freud schwankt, ob der Gegenstand der Identifizierung der Vater der persönlichen Vorzeit oder die Eltern sind. Diese Identifizierung bildet jedenfalls die Grundlage des Ichideals.
2) Bei der zweiten Form existiert eine Besetzung des Objekts, auf das das Ich verzichten musste. Die Mutter wird durch einen quälenden Husten, den sie einmal gehabt hat, ersetzt. Oder die Liebe für den Vater drückt sich darin aus, dass etwas, was den Vater kennzeichnet, übernommen wird. Wie auch immer die Sache läuft, sie stützt sich nur auf einen einzigen Zug des Objekts.
3) Die dritte Form der Identifizierung ist nicht einer Objektbeziehung zuzuschreiben, sondern den Äußerungen eines Objekts. Freud nennt als Beispiel ansteckende hysterische Anfälle in Internaten. In dieser Identifizierung, die eine affektive Gemeinschaft gründet, finden Massen zu einer Kohäsion, indem sie sich an einen Anführer binden.
Eine kohärente Theorie der Identifizierung fehlt bei Freud, insofern er beispielsweise das Verhältnis zwischen Identifizierung und Objektliebe nicht klärt (Evans 1996, 80).
Unter der Voraussetzung eines radikalisierten Sprachprimats versucht Lacan, eine stimmigere Theorie der Identifizierung zu entwickeln (Lacan o.J.), eine Theorie, die mit der Entwicklung des Subjekts übereinstimmt. Auch er unterscheidet drei Arten der Identifizierung (Lacan o.J., Sitzung vom 13.12.1961):
1) Ähnlich wie Freud, für den die Identifizierung mit der „früheste[n] Gefühlsbindung an eine andere Person“ (Freud 1921, 115) zusammenhängt, findet Lacan in der Spiegelphase Hinweise auf erste Identifizierungen, die allerdings in narzisstischen Verwechslungen bestehen und wie bei Freud nicht als Objektbesetzungen anzusehen sind.
2) Von dieser Identifizierung mit dem eigenen Körperbild ist ein nächster Schritt zu unterscheiden: die Einschreibung dieser Erfahrung in das Feld des Anderen. Dies geschieht mittels des Blicks, der vom werdenden Subjekt wie ein Insignium, ein Zeichen, genommen wird. Er bildet den einzigen Zug, der auch bei Freud für eine Identifizierung mit Objektbesetzung wichtig war.
3) Die dritte Form der Identifizierung bezieht sich nicht auf das Zeichen, sondern auf den Signifikanten. „Le signifiant n’est point le signe“ (Lacan o.J., Sitzung vom 6.12.1961). Das Zeichen hat einen Bezug zum Objekt, der dem Signifikanten gänzlich fehlt. Wo ein Subjekt sich mit dem Signifikanten identifiziert, sich als Signifikant begreift, ist eine Erfahrung möglich, in der Subjekt wie Anderer verschwinden (Bonnant 2010, 105), in jouissance aufgehen. Auch hier besteht ein Bezug zu Freuds dritter Form der Identifizierung: LeserInnen sind zumindest erinnert an eine Identifizierung mit dem Symptom, vorausgesetzt, dass sie den Signifikanten – den Phallus in seiner symbolischen Form – als Symptom auffassen.
Anders als Freuds Identifizierung mit dem Symptom des Anderen denkt Lacan die dritte Form der Identifizierung begleitet von einem Verschwimmen jeglicher Grenzen zwischen Subjekt und Anderem – gegenwärtig vielleicht wieder zu entdecken in Phänomenen wie der Schwarmweisheit. Lacans Votum für die Bedeutung einer solchen mystischen, argumentativ nicht fassbaren Zone zu durchdenken, ist nicht Fokus dieses Eintrags. Hier soll auf etwas Anderes hingewiesen werden: Lacan ist nicht der einzige, der solche Zustände mystischer Erfahrung in den Vordergrund rückt. Sie finden sich etwa auch bei Wilfred Bion in Zusammenhang mit seiner Theorie des O. Es wäre zweifellos produktiv, Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen beiden Konzepten zu untersuchen. Eine Voraussetzung für einen derartigen Vergleich ist allerdings ein Verzicht auf den Typus der Identifizierung mit einem einzigen Zug: Ein „A muss B bedeuten“, „Das haben wir immer schon so gedacht“ oder „Das kann ja gar nicht anders gemeint sein“, Identifizierungen des zweiten Typs also, sind für solche Untersuchungen eher hinderlich. In diesem Sinn: Wäre jemand von unseren geschätzten LeserInnen bereit, Bions Vorstellungen vom O hier zu skizzieren?
Lit.:
Bonnant, Mikaël (2010): L’identification, in: Jodeau-Belle, Laetitia / Laurent Ottavi (2010): Les fondamentaux de la psychanalyse lacanienne. Repère épistémologiques, conceptuels et cliniques. Rennes: PUR, 91-108.
Evans, Dylan (1996): Dictionary of Lacanian Psychoanalysis. New York: Routledge.
Freud, Sigmund (1921): Massenpsychologie und Ich-Analyse. GW XIII, 73-161.
Lacan, Jacques (o.J.): Le Seminaire. Livre IX: L’identification (1961-1962) (unveröffent.).