Das Unbewusste und der andere

In einem Vortrag zum 40-jährigen Bestehen des Lehrinstituts für Psychoanalyse und Psychotherapie Hannover stellt Christa Rohde-Dachser 2005 vier verschiedene Konzeptionen des Unbewussten vor, die aus ihrer Sicht in der Psychoanalyse eine Rolle spielen. Sie kennzeichnet Freuds Konzept des Unbewussten als eines, das in seiner Triebtheorie verankert, im wesentlichen durch unbewusste Wünsche gekennzeichnet ist, die – weil verdrängt – eine besondere Wirksamkeit entfalten. Angestrebt wird mit diesen Wünschen eine Befriedigungserfahrung, die als vorausgegangen vorgestellt und als verloren erlebt wird. Im Unterschied zu Freuds Konzept, das eine Lusterfahrung in den Vordergrund rückt, ist das Unbewusste, dem sich Klein widmet, eines, das durch eine Reihe von inneren Katastrophen geprägt ist. Anders als Freud, dessen Unbewusstes den Tod nicht kennt, ist für Klein der Todestrieb im Unbewussten repräsentiert, und Entwicklung wird als ein Kampf zwischen Lebens- und Todestrieben begriffen, die sich in Form von guten und bösen Objekten darstellen. Rohde-Dachser hebt die unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Färbungen beider Konzeptionen hervor: Während Freud das Moment der Gefahr, des Todes mit der Kastrationsangst als ein männliches versinnbildlicht, sind es bei Klein Ängste vor der eigenen Aggression, vor Schuldgefühlen, vor jenen Momenten also, die in der Trennung zwischen Tochter und Mutter besonderes Gewicht haben.

Bion verzichtet auf den Begriff des Unbewussten, spricht statt dessen vom Unendlichen, einem Zustand jenseits des Zeitgefühls. Die relationale Psychoanalyse schließlich versteht unter dem Unbewussten etwas, was sich nur in der Präsenz des Anderen bzw. in der Interaktion mit diesem Anderen manifestieren kann. Der Bezug zum Anderen findet sich auch in Lacans Überlegungen zum Unbewussten. Im Seminar III über Die Psychosen spricht Lacan von der Mühle des Sprechens im Unbewussten, die auch ohne Hinwendung des Bewusstseins klappert. Als ein angeblich innerer Monolog ist dieses Sprechen nur die Fortsetzung eines äußeren Dialoges, weshalb das Unbewusste auch als Diskurs des anderen anzusehen ist (Lacan 1997, 135) .

Colette Soler verbindet mit diesem Begriff des Unbewussten bei Lacan die Vorstellung, dass das Unbewusste entziffert werden könnte. Im Seminar XX, Encore, verliert es, Soler zufolge, diese Entzifferbarkeit: „L’inconscient, c’est le mystère du corps parlant, c’est le réel“ (Lacan 1975, 118). Lalangue wird zum Ort des Wissens, das den Körper affiziert (Soler 2011, 102). Der äußere Dialog mit dem anderen kann nicht in diesen Körper eindringen.

Die oben beschriebenen Versionen des Unbewussten drücken sich bekanntlich in unterschiedlichen Behandlungsprinzipien aus. In diesem Sinne wäre zu fragen, ob und wie ein unentzifferbares Unbewusstes die Praxis der Psychoanalyse modifiziert.

Literatur:
Lacan, Jacques (1975): Le Séminaire. Livre XX. Encore. Paris: Seuil.
Lacan, Jacques (1997): Das Seminar. Buch III. Die Psychosen. Weinheim, Berlin: Quadriga.
Soler, Colette (2011): Les affects lacaniens. Paris: Presses Universitaires de France.

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