Subjektlos: den Anderen los?

Der herbstliche Wiederbeginn nach einer sommerlichen Pause ist mühevoll und hat Ähnlichkeit mit dem morgendlichen Aufwachen. „Nein, bitte noch nicht, nur noch ein bisschen länger – nur noch die letzten warmen Tage genießen.“ Als läge in diesem Abschied eine kleine Überforderung.  Eine solche Überforderung lässt sich in Begriffen von Begehren und Genießen denken. Wenn wir den sommerlichen Zustand als Genießen auffassen wollen – subjektlos, weil Genießen in all seiner grausamen Schönheit stets subjektlos ist – können wir den Herbst als eine Formation zur Installierung des Begehrens ansehen. Es wird ein Mangel eingeführt, ein Subjekt formiert sich angesichts eines vom Anderen geforderten Verzichts. So wird die Einführung des väterlichen Gesetzes oder des Inzestverbotes bisweilen gedacht.

Das ist ein Gedanke, der sich gut machen würde in einer christlichen Morallehre. Wir können ihn als das Modell „Eidechse“ bezeichnen: Wie die Eidechse in der Not auf ihren Schwanz verzichtet, so lässt das Subjekt das Genießen fallen (Lacan 1964, S. 15) (und fasst es dann als Phallus oder als sonst eine Bildung vom Typus Objekt a auf). Die Eidechse gerät in Not angesichts eines bedrohlichen Anderen.

Wenn Lacan die Existenz des großen Anderen in Zweifel zieht, sagt er dann: Menschen sind keine Eidechsen?

Angesichts der Frage nach dem großen Anderen sollten wir die Perspektive, aus der gesprochen wird, im Auge zu behalten: Ob Gott existiert oder nicht, ist keine Frage der Psychoanalyse. Die interessiert sich für etwas anderes, nicht für den Anderen. Das schließt allerdings gewisse Irrtümer nicht aus: Vom Subjekt wird Gott „etwas untergeschoben, was Sache des Künstlers ist“ (Lacan 2005, S. 64, in Max Kleiners Übersetzung auf Seite 52). Der Umgang mit dem Genießen ist eine große Kunst.

Sind Menschen nun wie Eidechsen oder nicht? Das Genießen, so wie Lacan den Ausdruck verwendet, hat seine fürchterlichen Seiten. Wer gerade genießt, kann nicht sprechen, für den existiert nichts. Der Künstler kann aus diesem Zustand etwas machen – bei Joyce ist die Verformung von Sprache Teil seiner Kunst. Die Angst lässt sich damit binden.

Manchmal halten sich Menschen doch lieber für Eidechsen.

Lit.:

Lacan, Jacques (1964): Über den ‘Trieb’ bei Freud und das Begehren des Psychoanalytikers, in: Kupke, Christian (Hg.): Lacan. Trieb und Begehren. Berlin: Parodos 2007, 13-17.
Lacan, Jacques (2005): Le séminaire. Livre XXIII. Le sinthome, Paris: Seuil.

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