Heftige Frauen und ambivalente Männer

Der Film The Seventh Victim von Val Lewton, den Christian Cargnelli am 12. Mai 2011 in der Reihe psynema Licht in dunklen Raeumen kommentiert hat, macht auf cinematographischer Ebene eine Spannung fassbar, in der jede Praxis der Psychoanalyse steht: Wie können angesichts bekannter Stereo- und Prototypen individuelle und bisweilen neue Muster als solche erkannt werden?

Dieser Film ist ein Hollywoodfilm, der – wie Christian Cargnelli deutlich gemacht hat – eine Reihe von Regeln nicht einhält, die zum Zeitpunkt seiner Produktion in Hollywood bestanden haben. Dazu gehört beispielsweise die stärkere Betonung von Konflikten gegenüber nur leisen Andeutungen möglicher Lösungen. Oder die Art und Weise, wie die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern gestaltet werden, wenn Mary auf Gregorys Geständnis seiner Liebe zu ihr im Gegenzug zwar lapidar zustimmt – ja, sie liebe ihn auch -, vor allem aber auf ihre Schwester verweist. Und auch das Ende des Films, das hier nicht verraten werden soll,  bricht mit (zum Teil bis heute) geltenden Konventionen der Wunscherfüllungsfabrik.

Als Horrorfilm widmet sich The Seventh Victim dem Bösen und dem Dunklen. In der griechischen Mythologie sind es oftmals Frauen, die die dunkle, vom Todestriebhaften bestimmte Seite des Subjekts verkörpern. Ohne viel Nachdenken kommen einer  als Beipiele Medea, Elektra, die Erinnyen in den Sinn. Gefahr und Bedrohung mit etwas Weiblichem zu verbinden, hat eine lange Tradition, zu der auch gehört, dass die Frau – in der Art einer Reaktionsbildung – oftmals als Opfer gedacht wird. In Jacquelines Rolle im Film werden gerade diese Übergänge an manchen Stellen fassbar. Das Böse als etwas Abgründiges wird ähnlich wie das Passive tendenziell einseitig „genderifiziert“.

Unter gender werden Stereotypen, die oftmals zu Prototypen erklärt werden, versammelt. Ähnlich wie sich mit dem Gedanken an einen Hollywoodfilm eine Reihe von fröhlichen Selbstverständlichkeiten verbindet und mit dem weiblichen Geschlecht in diesen Filmen eine mehr oder minder klar definierte Versammlung von Eigenschaften, stehen auch weibliches oder männliches gender für eine Reihe von plus/minus verlässlichen Attributen. Manche Leute glauben jedenfalls bis heute, dass Frauen eher die Hausarbeit machen oder dass Männer sich in besonderer Weise für Cabriolets interessieren. The Seventh Victim ist vor allem deswegen ein äußerst spannender Film, weil er die Regeln, auf denen er basiert, an vielen Stellen bricht.

Das ist mit dem gender von Subjekten nicht anders. Frauen- und Männerrollen lassen sich heute weniger deutlich voneinander unterscheiden als noch vor ein paar Jahrzehnten. Doch die Anerkennung dieser Tatsache würde psychoanalytische Theorie wie Praxis vor schwierige erkenntnistheoretische Probleme stellen: Denn wenn die Vorstellungen über Weiblichkeit und Männlichkeit historisch bestimmt und vor allem nicht verallgemeinerbar sind, wie lassen sich dann Phantasmen über das eigene Geschlecht und über andere noch als solche benennen? Allgemein gültige Geschlechtscharaktere lösen sich auf, weil ihnen die gesellschaftliche Anerkennung abhanden gekommen ist. Anstatt auf eigene stereotype Muster zurückzugreifen, könnten wir uns fragen, wie wir umgehen sollen mit der Tatsache, dass unsere Vorstellung vom eigenen wie vom fremden Geschlecht immer auch von einer äußeren Lebensrealität bestimmt ist, in der heute nicht mehr allus beim Alten ist.

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