Auf der 4. deutschsprachigen internationalen psychoanalytischen Tagung (DipsaT) in Wien (16.-19.9.2010) hat Udo Hock unter Bezugnahme auf Jean Laplanche ein Plädoyer für den Primat des (konkreten) Anderen bei der Entstehung des Unbewussten gehalten (vgl. Hock 2010). Der Andere in Gestalt des verführenden Vaters, den Ernst Kris bei der ersten Herausgabe der Fließbriefe editorisch verschleiert hat, indem er konkrete Passagen in Freuds Briefen zensurierte,
könnte, so Hock, gerade in einer Zeit der öffentlichen Entdeckung von missbrauchenden Lehrern und anderen perversen Vaterfiguren für eine Theorie der Perversion nutzbar gemacht werden.
Jochen Haustein betonte in seinem Beitrag, in dem er sich unter anderen auf Mervin Glasser bezog, dass Perversion mit einer mangelnden Anerkennung der Realität einhergeht, wobei Sexualisierung als Abwehrmechanismus gegen destruktive Tendenzen eingesetzt wird. Die Verleugnung der Realität, der eine Missrepräsentation der Realität vorausgeht, bezieht sich auf die sogenannten facts of life, zu welchen Generationengrenzen, Geschlechtergrenzen, Abhängigkeit und Tod zu zählen sind.
Michael Diercks fragte in der Diskussion nach dem Verhältnis der Überlegungen von Hock und Haustein. Offensichtlich gibt es Unterschiede, je nachdem, ob der Fokus auf einer Väterätiologie oder auf einer Pervertierung der Realitätswahrnehmung liegt. Sabine Janda erwähnte in ihrem Koreferat Oktave Mannonis Perversionsformel: „Ich weiß ja, aber…“ Sie bezog diese ambivalente Mischung zwischen Wissen und Nichtwissen auf die Realität.
Ein Unterschied zwischen den skizzierten Ansätzen besteht möglicherweise darin, dass es um nicht genau dieselbe (Art von) Anerkennung von nicht ganz genau derselben (Facette von) Realität geht: Im Rahmen einer Theorie, die die Vorgängigkeit des Anderen in den Vordergrund rückt, meint „Anerkennung der Realität“ die „Anerkennung (der Realität) der Kastration“, wobei sich Kastration (mit Lacan) auf Geschlechtlichkeit und Sterblichkeit bezieht. Diese beiden Momente werden allerdings auch als facts of life genannt, womit sich im ersten Moment die Unterschiede wieder verwischen. Es scheint dieselbe Realität zu sein, die es anzuerkennen gilt.
Aus einer Diskussionsbemerkung von Udo Hock lässt sich ein anderer Unterschied postulieren: Sexualisierung kann im Rahmen des von ihm vorgestellten Konzepts nicht als pathologischer Abwehrmechanismus der Perversion angesehen werden, denn sie ist Teil jeder Behandlung, sofern eine Übertragungsbeziehung Ähnlichkeit mit einer Liebesbeziehung hat. Das lässt daran denken, dass ein Unterschied zwischen beiden Positionen in der Ansicht darüber liegt, ob das Sexuelle als Teil der Realität anzusehen ist, die es anzuerkennen gilt.
Hock, Udo (2010): Der perverse Vater, in: Jahrbuch der Psychoanalyse. Beiträge zu Theorie, Praxis und Geschichte 60/2010, 123-150.