Sprechstunde Dr. Spielvogel: Behandlungsplätze

Sehr geehrter Doktor Spielvogel!
In den österreichischen Nachrichten höre ich, dass die psychischen Erkrankungen stetig zunehmen. Es gibt nur leider ohnedies schon viel zu wenig Behandlungsplätze für sychologische Therapie. Ein Experte hat heute früh im Radio gesagt, dass oft fünf oder zehn Therapiestunden ausreichen würden, damit alles wieder gut wird. Warum werden diese paar Stunden nicht angeboten? Wenn ich mir ein Bein breche, habe ich doch auch ein Recht auf einen Gips.
Können Sie mir das erklären?
Vielen Dank im Voraus.
Ihr K. Rücke

Sehr geehrter Herr Rücke,

nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Wir sollten uns zuerst fragen: Worin bestehen die Ähnlichkeiten zwischen einem Beinbruch und einer psychischen Erkrankung? Da zeigt es sich dann, dass nicht die Ähnlichkeiten, sondern die Unterschiede überwiegen. Denn beide, Beinbruch und psychische Erkrankung, zeigen zwar Häufungen, aber der Beinbruch beim Skifahren und die psychischen Erkrankungen bei Frauen.

Der Gips bei einem Beinbruch bleibt im Durchschnitt fünf bis zehn Wochen angelegt. Daher mag dem Experten die Idee gekommen sein, dass fünf bis zehn auch für die psychische Erkrankung genug sein müssen – wobei fünf bis zehn Stunden doch deutlich weniger sind als fünf bis zehn Wochen. Allerdings muss ich Sie gleich warnen: Auch in fünf bis zehn Wochen sind psychisch keine Heilungen zu erwarten. In so kurzer Zeit sind im besten Fall Übertragungsheilungen möglich. Die funktionieren so, als würde ein Arzt bei einem gebrochenen Bein nicht einen Gips, sondern seine Hände auf das Bein des Verletzten legen. Da mag der Schmerz schon für kurze Zeit vergessen werden. Aber wenn die Hände weg sind, ist alles wieder beim Alten.

Hochachtungsvoll

Dr. Spielvogel

P.S.: Sie fragen sich nun vielleicht, warum eine psychoanalytische Therapie so lange dauert. Hauptsächlich deshalb, weil die Psyche kein Knochen ist und sich trotzdem mit großer Härte jeder Veränderung widersetzt. „Freud hat einmal das Bewußtsein des Menschen mit einem Salon verglichen, in dem allerlei Leute emfangen werden. Im Vorraum, hinter der verschlossenen Tür des Unbewußten staut sich die verdrängte Masse psychischer Wesenheiten und an der Tür steht ein Wächter, der in das Bewußtsein nur hineinläßt, was salonfähig ist. Danach können die Widerstände von drei Stellen ausgehen, vom Salon, dem Bewußtsein aus, das bestimmte Dinge nicht einlassen, will, vom Wächter  aus, einer Art Vermittler zwischen Bewußtem und Unbewußtem, der in hohem Grade vom Bewußtsein abhängig, doch immerhin eigenen Willen besitzt und hie und da eigensinnig den Eintritt verwehrt, obwohl das Bewußtsein die Erlaubnis gab, und vom Unbewußten selbst, das keine Lust hat, sich in der anständig langweiligen Umgebung des Salons aufzuhalten“ (Georg Groddeck (1923), Das Buch vom Es. Frankfurt/M.: Stroemfeld 2004, 140 f.).