Gesetz der Mutter

Szene aus Effi Briest
Szene aus Effi Briest. Foto: Rose

Franz Kaltenbeck hat heute in der Diskussion im Anschluss an seinen Vortrag über Geneviève Morels Buch La loi de la mère die Ansicht vertreten, dass das Gesetz der Mutter mit der Macht der Mutter gleichzusetzen wäre. Es handle sich um ein anarchisches, unverhandelbares, materialisiertes Sprechen der Mutter, das seine Wirkung im (späteren) Leben des Kindes entfaltet insbesondere, sofern es unverständlich bleibe. Unklar blieb in der Diskussion, ob für die so beschriebene Sache der Ausdruck „Gesetz“ passend ist.
Jacques Lacan (Le Seminaire. Livre  V: Les formations de l’inconscient. Seuil 1998, 188) verwendet den Ausdruck „la loi de la mère“ in folgendem Kontext (Übersetzung UK):
„Insofern findet sich das Kind, das seine Mutter als Subjekt auf Basis der ersten Symbolisierung konstituiert, gänzlich dem unterworfen, was wir – allerdings einzig durch eine Vorwegnahme – das Gesetz nennen können. Das ist nur eine Metapher. Es ist notwendig, diese Metapher, die in dem Begriff „das Gesetz“ enthalten ist, zu entfalten, um ihr ihre wahre Stellung für den Moment zu verleihen, in dem ich sie anwende.
Das Gesetz der Mutter ist wohlgemerkt die Tatsache, dass die Mutter ein sprechendes Wesen ist, und das reicht, um zu legitimieren, dass ich das Gesetz der Mutter sage. Nichtsdestoweniger ist dieses Gesetz, wenn ich so sagen darf, ein unkontrolliertes Gesetz. Es enthält einfach, und zwar als guten oder bösen Wert der Mutter, die gute oder böse Mutter – zumindest für das Subjekt, in der Tatsache, dass etwas in seinem Begehren vollständig abhängig ist von etwas anderem, das sich ohne Zweifel schon als solches artikuliert, das wohl von der Ordnung des Gesetzes ist, aber dieses Gesetz ist gänzlich innerhalb des Subjekts, das es stützt.“
Aus dieser Passage geht hervor, dass Lacan nach einem Ausdruck für Melanie Kleins gute bzw. böse Mutter in seiner eigenen Beschreibungssprache sucht. Ich habe nicht den Eindruck, dass er hier das Wort „Gesetz“ leichtfertig anwendet auf etwas, was strenggenommen nicht als Gesetz zu bezeichnen wäre, weil es keiner Übereinkunft unterliegt. Er scheint vielmehr sagen zu wollen, dass es Gesetz nur in seiner Verbindung zum väterlichen Gesetz genannt werden kann, als eine Vorwegnahme gleichsam.
Es bleibt natürlich die Frage, wie sich dieses Gesetz zum unberechenbaren Körper der Mutter verhält.

2 thoughts on “Gesetz der Mutter

  1. Ist „das Gesetz des Vaters“ eine Tautologie oder eine Spezifikation?

    Im ersten Fall ist ein „Gesetz der Mutter“ ein Widerspruch, oder zuminderst der Flirt mit einem Widerspruch. Im zweiten Fall muss man angeben, was das genus ist, das hier spezifiziert wird.

    Mein Hinweis oben war: Die Rede von Naturgesetz und Menschengesetz ist historisch bedingt und setzt voraus, dass es einen Gott gibt, welcher der Natur Gesetze gibt, wie es soziale Einheiten tun. Es gibt natürlich viele Bezugspunkte, die man für solche Spezifikationen des Gesetzesbegriffs heranziehen kann. Das Gesetz des Verstandes und des Herzens, das Gesetz der Pflicht und des Anstands etc.

    Bevor die Regeln dieser Verhältnisbestimmungen festgelegt sind, ist es schwer, präzise Formulierungen zu finden.

  2. Weder bei Lacan (im 5. Seminar) noch in Geneviève Morels Buch „La loi de la mère. Essai sur le sinthome sexuel“, und auch nicht in meinem Vortrag, ist das Gesetz der Mutter eine blosse Metapher. Schon für Freud ist die Mutter „der erste Andere“, denn sie spricht ja meistens als erste mit ihrem Kind (siehe mein Abstrakt in der Ankündigung des Vortrags). Lacan zitiert diese Freudstelle und in „Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens“, „Ecrits“, S. 808, erklärt er, dass das „erste Sagen dekretiert, gesetzgebende Kraft hat, als Aphorismus und Orakel wirkt und dem realen anderen seine dunkle Autorität verleiht“ (meine annähernde Übersetzung). Der „reale Andere“ ist da die Mutter. Natürlich hat dieses Dekret, diese Gesetzgebung, dieses Orakel nicht dasselbe Statut wie ein im Parlament gewähltes Gesetz. Wobei man anmerken darf, dass auch demokratisch gewählte Gesetz nicht gewaltfrei sind, da ja die Mehrheit der Minderheit diese Gesetze aufzwingt, die manchmal diese Minderheit noch weiter entrechten, wie man das leider in der heutigen anti-sozialen Gesetzgebung der meisten Ländern Europas feststellen muss. Dass das Sagen und Sprechen der Mutter gesetzgebende Wirkung hat, sieht man schon an seinen Konsequenzen: zum Beispiel an den Symptomen des Kindes, dann aber auch an den Schöpfungen und Werken, zu denen es später imstande sein wird. Geneviève Morel widmete diesen Wirkungen Leistungen den Hauptanteil ihres Buches und auch ich habe solchen Konsequenzen viel Raum und Zeit in meinem Vortrag gegeben. Eine Mutter kann ihrem Kind durch das, was sie zu ihm sagt sehr helfen aber auch sehr schaden. In dieser Hinsicht ist also das Gesetz der Mutter auf keinen Fall eine blosse Metapher sondern etwas durchaus Reales. Sie sagt und spricht nicht ohne Macht. Um diese Macht zu erweisen, habe ich nocheinmal die lacansche Lehre von der Frustrierung vorgenommen, wo Lacan der Mutter eine potentiell unendliche Macht zuschreibt. Sie kann die frustrierende, das heisst enttäuschende Gewalt des Symbolischen mildern, aber auch noch noch erhöhen! Natürlich muss sich die Mutter, wie jedes andere sprechende Wesen der Sprache unterwerfen. Aber von welcher Sprache kann man behaupten, sie beinhalte Gesetze für ein erträgliches Zusammenleben der Menschen? Jede Sprache kann sowohl die sublimste Dichtung als auch die grausamsten Befehle tragen. Man spricht von des Gesetzen der Sprache. Eigentlich sollte man sich mit ihren Regeln begnügen. Gleichgültig, ob Regeln oder Gesetze! Auf keinen Fall verhelfen uns die Gesetze der Grammatik oder die Lautgesetze, zur Gerechtigkeit zu kommen. Ja, Gerechtigkeit! Ich muss dieses Wort unterstreichen, da ich das Gefühl habe, dass von mehreren Diskussionsteilnehmern „Gesetz“ mit „Gerechtigkeit“ verwechselt wird.Erst der Name-des-Vaters vermittelt dem jungen Subjekt das Gesetz der symbolischen Ordnung. Ohne den Namen-des-Vaters, den ja zuerst die Mutter gebraucht, kann das Kind mit dem Gesetz nicht viel anfangen. Wenn die Mutter mit dem Kind spricht, so tut sie das in ihrer Sprache, in „lalangue“, die viele Äquivokationen enthält. „lalangue“ ist keine genormte Sprache. Selbst in unserer Umgangssprache versuchen wir die Zweideutigkeiten auszublenden, indem wir zum Beispiel unseren Gebrauch von Wörtern erklären, definieren, sagen, wie wir es meinen. In lalangue geschieht das nicht. lalangue ist in dieser Hinsicht viel kreativer, aber auch von Sinnlichkeit geladener. Die Mutter eines der Strafgefangenen, der in meine Sprechstunde kommt, sagte ihm zum Beispiel „Das ist unser kleines Geheimnis“, als sie ihn mit sich nahm, um mit anderen Männern zu schlafen, als mit ihrem Mann, seinem Vater. Seitdem hatte er immer sein „kleines Geheimnis“. Diese Geladenheit von Sinnlichkeit – und das hat Geneviève Morel entdeckt und theoretisiert – fördert nun die symptomatische Funktion des mütterlichen Sprechens. Aber auch die schöpferische Verwandlung des Symptoms in ein „Sinthome“, das dem Subjekt im Leben weiterhilft.

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