Geschlechterfußball

Äußerlich hat die geschlechtliche Entwicklung etwas gemeinsam mit einer Fußballmeisterschaft: Die wirksamen Kräfte präsentieren sich als große Gruppen, die auf die jeweils gegenüberliegende Seite  streben sollen. Regeln und Verbote organisieren das Spiel. Ein eindeutiger Sieg der einen oder anderen Seite ist das Ziel – selbst wenn er in einem Elfmeterschießen erzwungen werden muss.

BallIlka Quindeau würde sich vermutlich gegen einen solchen Vergleich wenden. Sie äußert 2008 „die fortschrittsoptimistische Erwartung, dass das Geschlechterverhältnis eine neu Qualität gewinnt und sich entspannter, freier, weniger auf Abgrenzung bedacht gestaltet“ (Quindeau 2008, 288). Ihre Studie hat verschiedene Facetten: Ausgehend von Laplanches Theorie der rätselhaften Botschaften, die sich als infantil Perverses, Sexuales einschreiben und die geschlechtliche Entwicklung motivieren, versteht sie Kastrationsangst als Angst vor dem Verlust des je eigenen Geschlechts und der damit verbundenen Möglichkeit, Lust zu gewinnen (ebd., 294). In der Masturbation setzt das Kind nach Ansicht von Quindeau elterliche Pflegehandlungen automom fort und trägt damit zur Bildung seines sexuell erregbaren Körpers bei (ebd.).  Männer und Frauen verfügen über innere und äußere Genitalien, wobei phallische Sexualität sich hauptsächlich auf das äußere Genitale bezieht (ebd., 295). Erwachsene genitale Sexualität ist durch Integration eines phallischen und eines rezeptiven Modus bei beiden Geschlechtern gekennzeichnet, was sich mit einer „Aufhebung der Geschlechterdifferenz“ (in einem hegelianischen Sinn) verbindet (ebd. 296).  Die unhintergehbare Differenz, wie sie gegenüber dem Anderen besteht, müsse sich nicht in allgemeiner Weise an der Geschlechterdifferenz festmachen (ebd., 298).  Gegen eine überkommene Dichotomie der Geschlechter setzt Quindeau „ein Neben-, Mit- und Gegeneinander von Männlichkeit und Weiblichkeit“ (ebd.).

Die von Freud konstatierte konstitutionelle Bisexualität des Menschen gerät ins Zentrum. Verbote spielen in Quindeaus Überlegungen eine untergeordnete Rolle. Am Genitalprimat wird ohne Reproduktionsfantasien und ohne heteronormativem Druck festgehalten.  Schwierige Themen, die in anderen theoretischen Ansätzen im Zentrum stehen, wie der konkrete, auch als Reales erlebte Körper oder  der Neid geraten an den Rand. Um Quindeaus Vorschlag zu verstehen, wäre zuerst zu klären, was sie sucht: Geht es ihr um die Beschreibung bestehender Geschlechterverhältnisse, um eine (politisch korrekte) Auffassung von Geschlechtlichkeit, die konform geht mit einem sozialen Ideal von Gleichheit? Damit wäre nachvollziehbar, warum aus der Geschlechterdifferenz eine Geschlechtergleichheit und schließlich eine Aufhebung werden. Oder soll eine Entwicklungsmöglichkeit unter anderen beschrieben werden, eine, die in der Psychoanalyse bisher zu wenig berücksichtigt und die bisweilen als Normabweichung missverstanden worden ist? Oder meint Quindeau beides auf einmal: Weil sich das Geschlechterverhältnis sozial zu einer Geschlechtergleichheit entwickelt, muss die psychoanalytische Theorie die soziale Veränderung durch Umschrift von Teilen ihres zu Freuds Zeiten entstandenen Entwicklungskonzepts in ihr Denken des Geschlechts integrieren? Eine Schwierigkeit für eine Integration ihres Vorschlags besteht jedenfalls in der freien Wahl ihrer persönlichen Terminologie: Begehren ist ihr Wort für den Freudschen Trieb (ebd., 289 f.).

Der Vergleich der geschlechtlichen Entwicklung mit einem Fußballspiel scheint seine Relevanz zu verlieren: in Quindeaus Vorschlag fällt der Druck zum Sieg im Sinne einer Identifizierung mit dem einen oder dem anderen Geschlecht weg. Allerdings spielen ihrer Ansicht nach Männer und Frauen im selben Spiel. Sie sind gleich wie zwei Fußballmannschaften.

Lit.: Quindeau, Ilka (2008): Verführung und Begehren. Die psychoanalytische Sexualtheorie nach Freud, Stuttgart: Klett Kotta.

Schreibe einen Kommentar