Liebesbriefe und Botschaften an andere

Vor wenigen Jahren war noch Erstaunen darüber angebracht, wie sich die Kultur der Liebesbriefe im Netz gewandelt hat. Renata Salecl erzählt von ausgedehnten Anweisungen, die bei genauer Befolgung ein respektables Endprodukt garantieren. Sie reichen vom Rat, beim Verfassen eines Liebesbriefs die eigene Lieblingsmusik aufzulegen bis hin zu wörtlichen Empfehlungen für das Ende des Briefes, in der Art von „Loving you forever“ oder „My heart is yours“.RealLoveLetter
Wem solche detaillierten Instruktionen zu kompliziert sind, für den hat das Internet Fertigprodukte anzubieten. Mit wenigen Basisinformationen wird der Brief auch von der Maschine hergestellt. Besonders erstaunlich scheint dabei, dass die Briefe oftmals gar nicht an andere, sondern an die Absender selbst adressiert werden. Salecl erklärt das unter Verweis auf Lacan damit, dass Liebesbriefe ganz generell nicht an die Geliebten gerichtet werden, sondern stets an das Subjekt, das sie schreibt (vgl. Salecl 2004, 29f.).
Mit web2.0 und den damit aufgekommenen Anwendungen wie twitter oder facebook scheint sich die imaginäre und narzisstische Dimension der Bezugnahme auf andere zurück gebildet zu haben. Computer und Mobiltelefon im Verbund machen es leichter, andere zu erreichen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, zu jedem Problem, in jeder Verfassung. Auch wenn die narzisstische Gratifikation in Form einer möglichst großen Zahl von FreundInnen auf facebook für manche/n noch anstrebenswert sein mag, ist nicht zu übersehen, dass die technische Entwicklung die Verhältnisse zwischen Subjekten und anderen wieder einmal modifiziert.
Dabei ist allerdings keineswegs klar, wie dieses Verhältnis dabei verändert wird. Ist die Entwicklung neuer interaktiver Netzanwendungen Ausdruck eines perversen Wunsches, dem Anderen angesichts des Niedergangs der väterlichen Autorität noch zu einem letzten Auftritt zu verhelfen? Oder sollen wir im verbreiteten Gebrauch dieser Technologien ein neurotisches Symptom sehen, das sich der Begegnung mit dem konkreten Anderen außerhalb des Netzes in einer subjektkonstitutiven Wiederholungsschleife entzieht?

Renata Salecl (2004): The Anxiety of Love Letters, in: Todd McGowan, Sheila Kunkle (Hg.): Lacan and Comtemporary Film, New York: Other Press 2004, 29-45.

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