Plädoyer für den Widerstand

Widerstand ist nötig. Widerstand ist dort nötig, wo Sprache und Sprechen noch nicht, nicht oder nicht mehr hinreichen. Dort, wo die Verhältnisse ein Widersprechen erfordern würden. Einen Widerspruch.
Widerstand widersteht. Statt zu sprechen, steht der Körper, befindet sich in einer stehenden Position, in einem Stand. Der Körper macht es sich unter Umständen aber auch gemütlich, indem er sich widersetzt. Wo er sich widersetzt, grenzt der Widerstand an einen
Stillstand. Dabei ist nicht klar, wo er in einen Stillstand übergeht. Selbst ein passiver Widerstand – um ein Argument zu variieren, das Sigmund Freud für die seiner Ansicht nach zur Passivität neigenden Frauen gebracht hat – selbst ein passiver Widerstand enthält oft ein hohes Ausmaß an Aktivität. Denn mittels passiven Widerstands lassen sich durchaus aktiv Ziele verfolgen.
Widerstand ist unumgänglich. Auch hier macht sich der Körper in der Formulierung bemerkbar. Um manchen Widerstand können wir nicht herumgehen. Wenn schon kein Sprechen möglich ist, wenn wir uns nicht als durch unser Sprechen konst/ituierte Subjekte etablieren können, dann bleibt uns dort, wo wir unsere Felle davonschwimmen sehen, dort, wo unsere moralischen Werte oder andere Aspekte unserer Befriedigung in Gefahr geraten, dort bleibt uns nur ein Dagegen.
Freud hebt das Befriedigungsmoment hervor, das in einem Symptom enthalten ist. Oft ist es daher gar nicht leicht,0/ sich von einem Symptom zu verabschieden. Der Widerstand steht im Dienst der Vermeidung eines solchen Abschieds. Doch das allein erklärt den Widerstand, der oft nicht nur am Anfang einer Kur, sondern über eine gesamte Behandlung hinweg spürbar, ja sogar bestimmend bleibt, nicht. Wie kann es sein, dass jemand, die eine Behandlung aufgrund von Leidenszuständen aufgesucht hat, diese Behandlung zu einer Veranstaltung des Widerstands, mit Blick auf den Körper könnten wir sagen, zu einer Veranstaltung des Widerliegens macht? Weshalb fällt es so schwer, die Grundregel, alles zu sagen, was einfällt, einzuhalten? Wie kommt es zum Schweigen, wo doch alles gesagt werden soll, damit sich Konflikte und Motive erkennbar darstellen? Wie kann es sein, dass manch eine plötzlich unterzugehen droht, in einem Tümpel von Abwehr ganz im Dienste des Widerstands?
Freuds Erklärung ist einfach: Auch wenn wir in der Absicht, uns behandeln zu lassen, zu einem Zahnarzt gegangen sind, werden wir oder wird vielmehr unser Körper zurückzucken, sobald sich die Zange dem tobenden Zahne nähert. Wohlwissend, dass ein Widerspruch sinnlos ist, beharren wir mit unserem Körper darauf, dass wir Angst haben und dass wir die Grenzen selbst festlegen möchten, an denen andere unseren Raum betreten. Freud spricht von einem Asylrecht, das sich mit der Einhaltung der Grundregel verknüpft: Alles zu sagen, heißt, einen anderen hereinzulassen, ihm Asyl im eigenen Gedankenraum zu gewähren. Einmal habe er einem in der Öffentlichkeit bekannten Mann zugestanden, nicht alles zu sagen, was ihm auf der Couch einfalle. Der Mann hätte darauf bestanden, auf seinen Diensteid gepocht. Er, Freud, hätte ein solches Zugeständnis aber nur einmal gemacht. Er würde es nicht wieder tun.
Widerstand steht physikalisch für ein Trägheitsmoment der Masse, für deren Beharrungsvermögen gegen Veränderung eines Bewegungszustands bzw. einer Bewegungsrichtung. Freud stellt sich dem Widerstand entgegen. Widerstand in der Kur gilt ihm oft als Widerstand gegen die Kur. Er ist zu deuten. Jacques Derrida hat in dekonstruktiver Absicht auf der Notwendigkeit bestanden, w*iderständig sein zu dürfen, gleichsam Schutz vor einem analytischen Deutungsgewitter zu suchen. Unter anderem verweist Derrida auf den Omphalos, den Nabel. Als Nabel des Traums hat Freud eine Stelle in einem von ihm geträumten Traum, im Traum von Irmas Injektion, bezeichnet, eine Stelle, an welcher Deutungen verhallen, nicht weiterführen, sinnlos werden. Der Name „Nabel“ ist mit Bedacht gewählt, ist der Nabel doch der körperliche Rest jenes Schnurorgans, über welches eine erste Verbindung zu einem anderen Körper bestanden hat. An diesem Rest, dem Nabel des Traums, schlägt etwas um – Sinn in Stoff, Sprache in Körper.

Freud hat fünf verschiedene Arten von Widerstand unterschieden, betont Derrida. Endlos viel Widerstand. In der Analyse wird Widerstand aufgespürt, angesprochen, womöglich durch Deutung aufgelöst. Freud gilt der Widerstand als Agent des Todestriebs. Widerstand wird vor allem in seiner, die anlytische Situation zersetzenden Potenz gesehen. In seiner Fähigkeit, das Sprechen nicht nur zu ersetzen, sondern auch zu zersetzen.
Die Realität ist freilich keine Redekur. Sprechen, Sprechenkönnen und Sprechendürfen sind nichts Selbstverständliches. Denken wir nur an politische, vielleicht sogar kriegerische Auseinandersetzungen. Der vor vierzig Jahren verstorbene Peter Weiss hat sich in seinem Epochenroman über die Ästhetik des Widerstands der Kapazität der Kunst zugewendet im Kampf gegen den Faschismus.
Es ist wichtig, verschiedene Formen des Widerstands zu unterscheiden – Widerstände, die das Sprechen hemmen und Widerstände, die sich im Dienste des unmöglichen Sprechens gegen widrige Verhältnisse stellen. Widerstand ist immer wieder nötig, geboten, wo sich das Ziel des Todestriebs, die organische Zersetzung, auszubreiten droht. Dort gilt etwas Extremes, nämlich, mit dem stummen Todestrieb für das Lebendige einzutreten. Freud selbst hat in seinen frühen Studien über Hysterie darauf hingewiesen, dass nicht allein dem Sprechen alle Macht in der Analyse zukommt. Er erwähnt dort ein affektives Moment, das sich zwischen Analytiker*in und Analysant*in entfaltet. Umso mehr gilt es in der äußeren Realität, in politischen und anderen Räumen, in denen das Sprechen nichts Selbstverständliches ist, Körper an Körper widerständig zu sein (Beitrag zu Widerstand angemessen, zu hören unter Philosophische Brocken.)