Topologisch betrachtet, bilden Menschen Schläuche. Menschliche Körper umgeben eine zentrale Öffnung, die vom Mund bis zum Ausgang des Darms reicht. (Arme und Beine sind in topologischer Perspektive vernachlässigbare Anhängsel.) Angesichts solcher Schlauchbildung führt eine psychologisch motivierte Rede von der inneren Welt zu einer topischen Unklarheit: Ist diese innere Welt innerhalb des (Darm) Schlauches zu denken? Oder meint sie alles, was zwischen diesem Schlauch und der äußeren Haut liegt? Manch eine mag sich wundern über das Problem. Aber „Innen“ ist ein räumlicher Begriff, was die Frage nach dem Ort des Beschriebenen nahe legt.
Angenommen die innere Welt liegt zwischen Darmwand und Haut, so wäre als nächstes zu fragen, wie in diese sogenannte innere Welt etwas anderes, von außen, hinein kommen kann, wie also der Vorgang, der mit „Introjektion“ bezeichnet wird, zu denken ist. Das ist nicht leicht vorstellbar. Die Vorstellungskraft stößt an (Haut)Grenzen. Die zweite Lesart der inneren Welt – die innere Welt innerhalb des Darmschlauches – scheint noch weniger attraktiv, bietet eine solche Welt doch aufgrund der zweiten Öffnung des Darmschlauches ihren Inhalten keinen stabilen Halt.
Begriffe sind der Verständigung dort dienlich, wo der Umfang ihrer Bedeutung(en) geklärt ist. Die Klärung von Bedeutungen – eine philosophische Aufgabe – ist Arbeit am Verständigungsprozess. Die Rede von der inneren Welt stößt nicht überall auf Verständnis in der Psychoanalyse. Sie ist aber auch weit verbreitet. Gegenüber den oben beschriebenen Bedenken topologischer Art lässt sich natürlich einbringen, dass wir Menschen nicht als Schläuche, sondern als sprechende Subjekte ansehen, die in der Regel mit Metaphern umgehen können. Die „innere Welt“ könnte also auch eine Metapher sein für etwas, was nicht außen ist.
Eine solche Lösung wäre aber vorschnell. Die Bezugnahme auf die Metapher würde vor allem dazu dienen, die Bedeutung des Ausdrucks „innere Welt“ gerade nicht näher zu untersuchen, sondern sie in einer Wolke der Unbestimmtheit zu belassen. Darian Leader macht aufmerksam, dass die Rede von der inneren Welt historische Vorläufer hat (vgl. auch für das Folgende Leader 2000, 49-87). Sie stützt sich auf Konzepte des Bewusstseins, das seit dem 17. Jahrhundert nach dem Modell der Camera obscura als hohler Raum vorgestellt wurde. Die Camera obscura hatte als Erklärung dafür gedient, wie ein Auge funktioniert, bevor sie zum Modell für den Geist wurde. Der schottische Philosoph Thomas Reid kritisiert die Innen-Außen-Unterscheidung solcher Modelle. Sie mache vergessen, dass es sich nicht in erster Linie um eine räumliche Unterscheidung, sondern um eine Unterscheidung von Gegenständen der Beschäftigung handelt. Bewusstseinsgegenstände sind nicht unbedingt Gegenstände der Realität. Über den Inhalt des innen gedachten Hohlraums wurde viel spekuliert: Enthält er Bilder? Besteht er aus abstrakten Ideen, wie Descartes nahelegt? Werden (mit Hume) Eindrücke gesammelt? Wie sind die Objekte im dunklen Innenraum des Geistes vorzustellen?
Leader unterstreicht, dass Reids Kritik an der Betonung der Innen-Außen-Unterscheidung in der psychoanalytischen Konzeptbildung der Introjektion durch Ferenczi unbeachtet geblieben ist. Dazu trägt eine entwicklungspsychologische Aneignung des Camera-obscura-Modells bei: Die Innen-Außen-Unterscheidung und der Gedanke einer Aufnahme von etwas Äußerem in etwas Inneres wird einer entwicklungspsychologisch frühen Phase zugeordnet. Auch in den Controversial Discussions taucht das Problem in der Diskussion um den Status der inneren Objekte auf. Kleinianischer Theoriebildung wird vorgeworfen, dass sie zwischen einer frühen Phantasievorstellung und dem metapsychologischen Konzept eines psychischen Mechanismus nicht unterscheidet. Es wird deutlich, dass mit inneren Objekten dreierlei gemeint sein kann: geistige, innerliche und imaginäre Gegenstände. Und oft ist nicht klar, welche der drei Attribuierungen gerade aufgerufen ist.
Topologische Modelle wie das Moebiusband oder die Kleinsche Flasche, die Lacan in seinen Seminaren herangezogen hat, sind Hinweise auf ein Problem unserer gewohnten Sprechweisen. Es lässt sich nicht genau sagen, wo das Innen des Innenraums ist. Heute, wo die Grenzen unserer Seele wie unserer Körper in verschiedenen Formen elektronischer Kommunikation neu zu erforschen sind, können topologische Modelle hilfreich sein, unvorstellbare räumliche Verhältnisse zu (be)zeichnen.
Literatur:
Leader, Darian (2000): Freud’s Footnotes. London: Faber and Faber.