Missfallen an Misswahlen

In China wird alle Viertelstunde eine Lidspaltenoperation durchgeführt. Ein operativer nose-job gehört im Iran zum Alltag vieler  junger Frauen, die mit einer Nasen“korrektur“ ihre Heiratschancen zu vergrößern hoffen oder  ihr Wohlbefinden ganz einfach steigern möchten. Und vor wenigen Tagen erregten die südkoreanischen Misswahlen Missfallen, weil sich die Kandidatinnen voneinander kaum unterschieden, nachdem sie sich vorher den geltenden Schönheitsnormen chirurgisch anpassen hatten lassen.

Sander L. Gilman hat die plastische Chirurgie in die Nähe der Psychoanalyse gerückt (vgl. auch für das Folgende Gilman 1998, 12 ff.). Beide würden sich von Anfang an abheben von einem im 19. Jahrhundert etablierten medizinischen Behandlungsgestus, in welchem das Primat der Beschreibung des Leidens ebenso wie dessen Behandlung auf der Seite des Arztes lag. Beide stützten sich auf ein  – in einem weiten Sinn verstandenes – psychosomatisches Modell des Subjekt. Und Sigmund Freud selbst verglich seine Behandlungen mit chirurgischen Eingriffen (Freud 1893, 311).

Doch die Parallelität von Schönheitschirurgie und Psychoanalyse findet rasch ein Ende, wenn es darum geht, die Phänomene selbst zu untersuchen, welchen sich der operative Boom verdankt. Der schönheitschirurgische Grundsatz mens felix in corpore pulcherrimo (Glücklich ist die Seele im schönsten Körper) lässt sich mit chirurgischen Mitteln nicht erläutern oder gar verstehen, während es psychoanalytische Konzepte gibt, um solcherlei Folgen einer frühen Spiegelerfahrung einzuordnen.

Maurice Merleau-Ponty hat in seinen Sorbonne-Vorlesungen, in welchen er Lacans Lesart des Spiegelstadiums mit jener des Psychologen Henry Wallon vergleicht (Merleau-Ponty 1988, 324f.), unter anderem darauf hingewiesen, dass Lacan anders als Wallon die jubilatorische Reaktion und damit die affektive Seite der Spiegelerfahrung hervorhebt. Die tänzerische Begrüßung des eigenen Spiegelbildes lässt etwas erahnen von der Kraft der Anziehung des Bildes. Dabei ist zunächst nicht klar, wen das Bild im Spiegel verkörpert. Die Hoffnung auf einen lebendigen anderen wird von der Einsicht gefolgt, sich selbst in großartiger Pose zu begegnen. Wobei die Spiegelphase mehr enthüllt als nur den manischen Wunsch nach einer totalitären Gestalt. Die irritierende Erfahrung, mit dem eigenen Doppelgänger nicht eins werden zu können, die Narziss in den Selbstmord treibt, bildet eine frühe Matrix für das Auftauchen paranoider Ängste. Lacan verweist auf eine tödliche Herr-Knecht-Dialektik, die nun manifest wird. Objektbeziehungstheoretisch würde das Spaltungsmoment ins Auge springen, das die zunehmend polemische Atmosphaere kennzeichnet: Wenn mein Doppelgänger nicht mein Freund ist, dann kann er nur mein Feind sein.

Es ist zu erwarten, dass der Boom an körpermodifizierenden Eingriffen eine Tendenz zur Selbstlimitierung hat. Denn die archaische Verunsicherung durch den Doppelgänger gehört zu Schönheitsoperationen dazu. Sie äußert sich im öffentlich geäußerten Missfallen an Misswahlen. Und sie wird selbstironisch in Szene gesetzt in amerikanischen Serien wie nip/tuck.

Literatur:
Freud, Sigmund (1893): Zur Psychotherapie der Hysterie. GW I, 252-312.
Gilman, Sander L. (1998): Creating Beauty to Cure the Soul. Durham / London: Duke University Press.
Merleau-Ponty, Maurice (1988): Keime der Vernunft. Vorlesungen an der Sorbonne 1949-1952. München: Fink 1994.

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