Die erste Szene des Filmes Jagten fokussiert Männerkörper, die nicht baden gehen. Die meisten bleiben am Rand stehen, auch als einer, der sich dann doch getraut hat, einen Wadenkrampf bekommt. Nur der Protagonist Lucas springt hinein. Um den Verdacht, dass er im Kindergarten ein Mädchen missbraucht hat, dreht sich in der Folge der gesamte Film.
Als Zuschauerin komme ich im Film in eine etwas seltsame Position: mir muss von Anfang an klar sein, wie ich diesen Verdacht zu beurteilen habe. Denn ich bin Augenzeugin und moralische Instanz in einem. Die Regie macht aus mir ein allwissendes Subjekt. Das ist nichts Ungewöhnliches, wenn auch neu gegenüber Festen (1998), Vinterbergs früherem Film zum selben Thema. Die Spannung dieses Familiendramas hatte ihre Kraft aus einer intensiven Mischung von Verdacht, Vermutung, Unwissen und Opazität bezogen.
Die Unbehaglichkeit, die sich für mich während Jagten eingestellt hat, sehe ich in Zusammenhang mit der gottgleichen Rolle, die mir zugeteilt wird. Ich halte sie für eine vom Regisseur kalkulierte und für eine Stärke des Films. Denn spiegelt eine solche Positionierung der ZuschauerInnen nicht eine verbreitete Tendenz wider? Es möge jemanden geben, der/die genau sagen kann, dass da kein sexueller Wunsch im Spiel war. Das geschieht in einer Welt, die vor allem eines sein soll: einfach. Wunsch, Lust, Spiel, Phantasie, Erwartung, Verlangen, Hass – sie alle werden auf ein einziges Gegensatzpaar reduziert: Hat er oder hat er nicht. Sexuelle Impulse, Botschaften, Rätsel kann es in einer solchen einfachen Welt gar nicht geben.
Ähnlich seltsam wie die Mutprobe eines Sprungs in eiskaltes Wasser zu Beginn des Films.
