Man kann das Urteil des Kölner Landgerichts vom 7. Mai 2012 als einen Angriff sehen in einem Krieg zwischen und über Religionen, der bis in die Antike reicht. Dazu wird nun ebenso wie zu den juridischen und rechtsphilosophischen Implikationen des Urteils vielerorts debattiert. Psychoanalytisch spannend ist das Urteil auf andere Weise, wird doch die Thematik der Kastration an einzelnen Stellen mit einer Beschneidung eng geführt.
„Noch heute beschimpft der Türke den Christen als ‚unbeschnittenen Hund'“, meint Freud (1937, 128). Seine Haltung der Beschneidung gegenüber war wohl ambivalent. Es wird jedenfalls behauptet, dass er seine eigenen Söhne nicht beschneiden ließ (vgl. Bonomi 2009, 559). Und auch sein Gedanke, dass ihm die Beschneidung als ein „Leitfossil“ (Freud 1937, 139) in seinem Text diene, deutet nicht darauf hin, dass er die Frage nach der Beschneidung als etwas Lebendiges angesehen hat. Psychoanalytisch galt ihm die Beschneidung, was sich an zahlreichen Stellen seines Werkes zeigen lässt (vgl. Bonomi 2009, 559), als Äquivalent und Substitut der Kastration. Weder der medizinisch prophylaktische Hintergrund (Beschneidung aus hygienischen Gründen – z.B. unter der Annahme, es ließe sich durch eine Beschneidung eine Erkrankung an Syphilis vermeiden) noch moralische Anmutungen (eine Beschneidung könnte sexuelle Begierden verringern) spielten für Freud dabei eine große Rolle (ebd.).
Lacan macht aus der Vorhaut, die bei der Beschneidung verloren geht, ein Partialobjekt (Lacan 2004, 247). Das verweist auf den Kontext der Kastration: Es geht um eine Trennung unter Sexualisierung einzelner Trennungsschritte bzw. um die Einführung eines Mangels samt derjenigen eines subjektkonstitutiven Begehrens. Das (Partial)Objekt a, das später zum Phantasma mutiert, besteht aus Resten, die sich der Einführung dieses Mangels erfolgreich widersetzt haben. Im kleinfamilialen Jargon ausgedrückt: Im Rahmen der Kastration soll eine (als schmerzhaft konzipierte) Lösung von der Mutter erfolgen. Diesen Schmerz fügt der Vater zu, was sich in den verschiedenen Registern unterschiedlich darstellt – symbolisch als väterliche Kastrationsdrohung, real erlebt als Einschnitt der Beschneidung. Die imaginären Wucherungen machen einen Teil des Phantasmas aus. (Sie können zum Beispiel in lebensbegleitenden neurotischen Überzeugungen bestehen, aus diesem oder jenem Grund immer leiden zu müssen.)
Das gegenwärtig in Deutschland diskutierte Beschneidungsverbot fokussiert den Körper und das Reale, indem es als Verbot einer Körperverletzung und einer Schmerzzufügung aufgefasst wird. Gleichzeitig wird dabei auch eine imaginäre Chimäre aufgerufen: der perfekte, unverletzte, ganze Körper des Spiegelstadiums, den ein Einschnitt zu fragmentieren droht.
Nun gelten das Ideal des unverletzten Körpers ebenso wie das Verbot einer Schmerzzufügung keineswegs generell: Einschnitte in den Körper aus präventivmedizinischen Gründen fallen nicht unter das Verbot der Körperverletzung. Eine Probeexzision oder eine Biopsie werden bei aller Angst und allem Schmerz, die mit ihnen verbunden sind, nicht untersagt. Als wäre die Einschreibung in eine Genealogie, die sich mit der Beschneidung rituell verbindet, einer Einschreibung in ein Präventionsprogramm gewichen. Positiver formuliert wäre zu fragen, ob es diese anderen, medizinisch indizierten Einschnitte sind, die dem Subjekt heute angesichts des Niedergangs einer väterlichen Autorität Stabilität verleihen sollen.
Literatur:
Bonomi, Carlo (2009): The Relevance of castration and circumcision to the origins of psychoanalysis: 1. The medical context, in: Journal of International Psychoanalysis 90, 551-580.
Freud, Sigmund (1937): Der Mann Moses und die monotheistische Religion, GW XVI, 103-246.
Lacan, Jacques (2004): Le Séminaire. Livre X. L’Angoisse. Paris: Seuil.