Sexualität als Operator des Unmenschlichen?

Mehrfach wurde in diesem blog schon überlegt, was die gegenwärtige, an verschiedenen Stellen zu beobachtende, kulturelle Animalisierung bedeuten könnte.  Eine Intervention von Alenka Zupančič macht hellhörig für weitere Facetten dieser Entwicklung. Im Versuch, Differenzen zwischen Philosophie und Psychoanalyse

herauszuarbeiten, stößt Zupančič auf die Sexualität als etwas Anstößiges, was die Psychoanalyse (aus Sicht ihrer Gegner) im Unterschied zur Philosophie  „eines universellen Geltungsbereichs beraube“. Deshalb müsse die Frage der Sexualität „mit brutaler Offenheit diskutiert werden“ (Zupančič 2009, 11). Denn in „der freudschen Theorie ist das Sexuelle (verstanden als konstitutiv abweichende Partialtriebe, die man auch »Libido« nennt) nicht der äußerste Horizont des Tieres »Mensch« (Hervorhebung UK), nicht etwa der Ankerpunkt irreduzibler Menschlichkeit in der psychoanalytischen Theorie sondern […] der Operator der Entmenschlichung oder der »De-Anthropomorphisierung«“ (ebd., 17).

Zupančič wird ihren eigenen Vorgaben insofern gerecht, als sie – unter mehrfachem Hinweis, dass sich die Psychoanalyse Freuds von der Jungschen Konzeptualisierung in Sachen Sexualität und Lebensenergie unterscheidet – die andere, nicht-libidinöse Seite der Triebmodalitäten in den Vordergrund rückt. Es klingt in der Tat brutal, wenn sie von Sexualität als „Inkonsistenz“ (ebd., 23), vom Sexuellen als „Operator des Unmenschlichen“ (ebd., 17),  einem „Begriff einer radikalen ontologischen Sackgasse“ (ebd., 23) schreibt. Die Stoßrichtung ihrer Überlegungen legt sie dabei offen: Sie wendet sich mit ihren Überlegungen gegen eine (im 19. Jahrhundert propagierte) Natürlichkeit, die (nicht erst) sie als „paradoxe artifizielle Naturalisierung der originär de-naturalisierten Triebe“ (ebd., 15) entlarvt.

Nun ist die Psychoanalyse kein Erholungszentrum, sondern eine Formation mit durchaus brutalen Seiten. Anders als die Philosophie steht die theoretische Psychoanalyse in einem permanenten wechselseitigen Bezug zu einer Praxis, in der es um Veränderungen – um das Ertragen wie das Befördern von Veränderungen gleichermaßen im Allgemeinen wie im Partikularen – geht. Nach Freuds später triebtheoretischer Auffassung (Zupančič nimmt es nicht sehr genau mit ihren Bezugnahmen auf die in sich divergierenden Freudschen Konzepte des Triebs, aber das soll hier nicht diskutiert werden) können solche Veränderungen in zwei Richtungen erfolgen: in Richtung Spannungserhaltung und in Richtung Spannungslösung. Letztere Bewegung kennzeichnet Freud als die Tendenz der Todestriebe.

Zupančičs Beschreibung von Sexualität unterstreicht den bei Freud zweifellos gegebenen entfunktionalisierten Charakter des Sexuellen. Gleichzeitig hebt sie einen Bruch hervor, für den das Sexuelle stehen soll. Dieser Bruch ist weitreichend,  weil er einen großen Teil dessen, was Philosophie (hier in einem bescheidenen Sinn als Arbeit am Begriff verstanden) ausmacht, außer Kraft setzt: „Das Sexuelle ist keine Substanz, die genau be- und umschrieben werden könnte, sondern genau die Unmöglichkeit seiner eigenen Umschreibung oder Abgrenzung“ (ebd., 16).

Es scheint mir verfrüht (und methodisch schwer) zu entscheiden, ob Zupančič mit dieser These kulturell wirksame Tendenzen des gegenwärtigen Umgangs mit Sexualität erfasst. Meinem Eindruck nach überwiegt in ihrer Darstellung etwas Destruktives, von Todestriebqualitäten Bestimmtes. Was ihr beinahe entgeht, ist die Beunruhigung des Sexuellen als einem Spannungsaufbau, dem  lustvolle und deshalb nicht minder bedrohliche Möglichkeiten offen stehen. Mit der Bestreitung der Natürlichkeit solcher Tendenzen (oder der Behauptung von deren kultureller Naturalisierung) ist meines Erachtens deren Gegebenheit nicht außer Kraft zu setzen.

Meine daran anknüpfende Überlegung wäre, ob nicht das Tier – in der kulturellen Praxis ebenso wie in der kulturwissenschaftlichen Theorie – zum Träger von solchen (im engeren Sinn) libidinös bestimmten Strebungen wird. Dieser Eindruck bezieht sich auch auf Zupančičs obiges Zitat, wo sie nicht das Tier, sondern den Menschen in Anführungsstriche setzt. Das Tier gibt es, der Mensch gerät in Anführungsstriche. Als könnte das Tier eine geheime und in sich bruchlose Überzeugung verkörpern, dass sexuell bestimmte Lust nicht nur unmöglich, sondern auch möglich ist – ein notwendiges Phantasma, mit dem zumindest in der Praxis der Psychoanalyse durchaus gearbeitet wird.

Lit.:
Zupančič, Alenka (2009): Intervention I. Sexualität und Ontologie, in: dies.: Warum Psychoanalyse? Zürich, Berlin: diaphanes, 11-30.

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