Sinthom

Der Status des Namens des Vaters hat sich in Lacans Theorie von den frühen Sechziger Jahren bis zu seinen letzten Seminaren verändert. Marie-Helène Brousse hat diese Veränderung als eine zweifache Verschiebung beschrieben:

Zunächst diente der Name des Vaters gemäß Lacan dazu, das Begehren der Mutter zu ersetzen. In seinem Seminar V, Die Bildungen des Unbewußten, stellt Lacan dar, wie dies im Einzelnen gedacht werden kann: Das Begehren des Kindes nach der Mutter – nicht nach deren Begehren – wird gestört durch die Wahrnehmung des Kindes, dass sich das mütterliche Begehren auf etwas anderes richtet als es selbst. Der Vater fungiert dabei als Ich-Ideal für das Kind. Es möchte so werden wie der Vater – von der Mutter so begehrt werden wie der Vater. Eine Abfolge von Symbolisierungsschritten, die mit der Trennung von der Mutter nötig und möglich werden, rücken den Namen des Vaters ins Zentrum.

Was die Mutter betrifft, kann nur durch diese Konfrontation mit dem Begehren des Vaters ein Begehren nach dem Begehren der Mutter entstehen. Die erste Verschiebung dieser Bedeutung des Vaternamens führt Brousse zufolge dazu, dass Lacan ab seinem Seminar XXII, R.S.I, den Vater als denjenigen denkt, der benennt. Er ist nicht mehr so sehr ein Name, sondern er gibt Namen. Er hat seine Funktion durch seine Fähigkeit, Dinge zu benennen. Er macht Löcher in das Reale. Die zweite Verschiebung – von Lacan ebenfalls 1974 eingeführt – lässt den Namen des Vaters schließlich außerhalb jeder Referenz geraten. Die Benennung als eine Einführung von Namen und von Sprache denkt Lacan dann getrennt vom Vater. Der Vater des Namens wird durch die Mutter ersetzt. (Vgl.: Marie-Helène Brousse (2009): Ordinary Psychosis in the Light of Lacan’s Theory of Discourse, in: Psychoanalytic Notebooks 19, 7-19.)

Solche theoretischen Verschiebungen machen es für Lacan nötig, neuerlich nach der Struktur der Psychose zu fragen. Er geht dieser Frage in seinem Seminar XXIII, Le sinthome, nach.

Empfohlene Lektüren
Colette Soler, Die Paradoxien des Symptoms in der Psychoanalyse, in: „RISS, Zeitschrift für Psychoanalyse. Freud – Lacan“ Nr. 71, Wien 2009, S. 79-98.
Geneviève Morel, Das Symptom, das Phantasma und die Pathologien des Gesetzes, in: „RISS“ Nr. 65, Wien 2007, S. 57-92.
Geneviève Morel, Das sexuelle Sinthom, in: RISS Nr. 61, Wien 2004, S. 49-73.
Dazu die Seminare XXII-XXIV (erhältlich im Buchhandel bisher nur Seminar XXIII, Le sinthome. Paris: Seuil 2006; die anderen Seminare als Mitschriften, sowie alle drei als private Übersetzungen von Max Kleiner, sind zu erhalten über das „Lacan-Archiv“ in Bregenz: LacanArchiv@bregenznet.at

Sekundärliteratur
Geneviève Morel, La loi de la mère – Essai sur le sinthome sexuel, Paris 2008.
Lina Balestriere, Jacqueline Godfrind, Jean-Pierre Lebrun, Pierre Malengreau, Ce qui est opérant dans la cure – Des psychanalystes en débat, Ramonville Saint-Agne 2008 – hier v.a. der Beitrag von Pierre Malengreau, Les pouvoirs de la parole analysante, S. 63-94.

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