Die Frage nach der jouissance gehört nach Ritter zu den schwierigsten in der Psychoanalyse Lacans, weil sie sich quer über dessen Werk zerstreut beantwortet findet und weil das dabei abgesteckte Feld der jouissance in sich uneinheitlich ist. Implizit enthält z.B. schon das Spiegelstadium einen Verweis auf eine jouissance. Laut Ritter lässt sich die jubilatorische Reaktion vor dem Spiegel so lesen. Eine Ausarbeitung des Konzepts beginnt mit dem Seminar V (1957-1958) über Die Bildungen des Unbewußten.
1960 formuliert Lacan Folgendes: Die jouissance ist demjenigen, der von ihr als solcher spricht, im selben Moment verboten, in welchem er von ihr spricht. „Sie kann für jeden, der als Subjekt dem Gesetz unterworfen ist, nur zwischen den Zeilen ausgedrückt werden, weil das Gesetz sich eben auf jene Untersagung gründet. […] Würde nämlich das Gesetz befehlen: Jouis, genieße, so könnte das Subjekt nicht anders antworten als mit einem J’ouïs, ich höre, wobei der Gedanke an Genuß nur noch der Hintergedanke wäre“ (Lacan 1960, 198). Die jouissance wird hier als ein dem Sprechen entgegen gesetzter Zustand des Seins verstanden. Begehren und Genießen finden sich in einem diametralen Gegensatz, was sich auch in folgendem Satz im selben Text darstellt: „Denn das Begehren ist eine Abwehr, die Abwehr dagegen, eine Grenze im Genießen zu überschreiten“ (ebd., 202).
Im SE XII L’objet de la psychanalyse heißt es, in der Antike sei der Sklave die jouissance gewesen, der dafür reservierte Bestand (SE XIII, Sitzung vom 20.4.1966). Im selben Seminar meint Lacan, seine Definition der jouissance (die er hier mit dem deutschen Ausdruck „Lust“ übersetzt), bestünde nur darin zu sagen, dass es einem Körper vorbehalten sei, zu genießen oder nicht zu genießen (ebd., Sitzung vom 27.4.1966). Hier wird die jouissance nicht von einem Gegensatz zum Begehren, nicht in Zusammenhang mit einem Mangel, sondern vom Körper her begriffen.
Die jouissance gerät innerhalb weniger Jahre von einem Hintergedanken zu einer Sache des Körpers, die weniger im Hinblick auf ihre Begrenzungen, Einschränkungen oder Verbote als auf ihre Existenz hin untersucht wird. Verbunden damit, dass Lacan den Körper in seinen späten Arbeiten als den Ort des Anderen fasst, ergeben sich eine Reihe weiterer Forschungsperspektiven.
Literatur:
Lacan, Jacques (1960): Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewussten, in: ders. (1991), Schriften II, Weinheim, Berlin: Quadriga, 165-230.
Lacan, Jacques (unveröffentlicht): Le Seminaire. Livre XIII (1965-1966). L’objet de la psychanalyse. Transkripte der Seminarsitzungen finden sich hier
Ritter, Marcel / Jean-Marie Jadin (2009): La jouissance au fil de l’enseignement de Lacan. Paris: Erès.